Der Totenwächter - Roman (German Edition)
Schon der Tod von Bernard hatte in ihrer Seele einen tiefen Riss hinterlassen. Eine klaffende Wunde, die sich nur sehr, sehr langsam schloss. Würde sie Grace verlieren, bräche ihr Herz. Sie liebte ihre Tochter mehr als alles andere im Leben.
Erneut schreckten sie Geräusche auf, ein Rascheln, ein Platschen, das aus dem Schilf herrührte.
Hatte Akbar nicht gesagt, in diesem Fluss gäbe es Krokodile?
Linda schwamm etwas schneller. Sie spürte, dass sich Panik in ihr ausbreiten wollte. Davon durfte sie sich nicht übermannen lassen. Das wäre das Ende. Ihre Muskeln würden sich verkrampfen und sie würde erst Wasser schlucken und wenig später Wasser atmen! Gelassen bleiben. Und war es noch so anstrengend. Immer schön gelassen bleiben. In den letzten zwei Tagen hatte sie kein Krokodil gesehen. Vermutlich waren die Tiere durch die vielen Nilschiffe sowieso vertrieben worden.
Und doch platschte es furchterregend hinter ihr. So, als habe sich ein schmaler Körper auf die Wasseroberfläche gelegt. Ein schmaler Körper mit einem beweglichen Schwanz und mit einem riesigen Maul mit spitzen Zähnen.
Wie würde es sein, wenn ein Krokodil sie zu fassen bekäme? Würde sie Schmerzen leiden? Würde der Schreck sie töten? Würde das mächtige Tier sie in die Tiefe ziehen und sie einem schrecklichen Tod durch Ertrinken überlassen?
Mir geht die Fantasie durch!
Vorwärts und - vorwärts - und - vorwärts! Eine Bewegung nach der anderen. Nicht nach hinten schauen. Da vorne war das Ufer. Es war ihr Ziel. Und es wurde immer größer, rückte immer näher.
Neben ihrem Kopf kreischte etwas. Linda schrie auf. Sie schluckte Wasser und stieß die dreckige Brühe wieder aus. Ein Vogel. Sie hatte einen Vogel aufgeschreckt. Schilfhalme schlugen gegeneinander, zischelten sich geheimnisvolle Dinge zu.
He, da ist ein Eindringling. Ein Mensch, der in unser Territorium eingedrungen ist.
Krachten da nicht Zähne aufeinander? Linda blickte sich nun doch um. Ein schwarzer Schatten zog sich hinter ihr über das glitzernde Wasser. Ein Schatten, der mehr als zwei Meter lang war. Es musste ein Krokodil sein. Vermutlich beobachtete es seine Beute schon. Wartete darauf, sie zu erlegen.
Lindas Körper wurde von wildem Schrecken geschüttelt. Obwohl sie sich stetig bewegte und das Wasser lauwarm war, kroch eine eisige Kälte in ihr hoch. Fasste ihre Zehen, kribbelte über ihre Beine, fuhr über ihren Rücken bis hoch in ihren Nacken.
Wasserschlangen! Sie hatte gelesen, dass es hier Wasserschlangen gab. Kleine, sehr giftige Reptilien, die sich blitzschnell unter Wasser bewegten. Die ihre Heimstatt im Schilf hatten, dort ihre Eier ablegten. Pfeilschnell schossen sie aus ihren Verstecken und töteten ihr Opfer mit einem giftigen Biss. Linda hasste Schlangen!
Hinter ihr das Krokodil und irgendwo Wasserschlangen! Was erwartete sie noch? Was würde noch geschehen? Hatte sie ihr Leben verspielt?
Sie stieß sich hart ihre Knie. Oh nein. Etwas griff sie von unten. Wild kraulte sie vorwärts. Ihr Kopf sank unter Wasser. Sie kraulte - flüchtete. Sie stieß sich ihre Ellenbogen. Was war das?
Unter ihr war Grund. Schlammig und mit Steinen durchsetzt. Grund. Das Wasser hier war nicht höher als einen halben Meter. Linda zog ihre Beine an und richtete sich auf. Sie fuhr herum. Der dunkle Schatten trieb unbeirrt auf dem Wasser. Sie kniff ihre Augen zusammen. Das letzte Abendlicht fing sich auf einem Baumstamm.
Dankbar schluchzte Linda. Sie taumelte ans Ufer.
18
Mamothma beugte sich über sie.
Sie war Sephrete und sie war dankbar, dass sie bei ihm sein durfte.
Nun würde endlich alles so sein, wie er es sich erträumt hatte, er - ihr Liebster! Er, der größte Magier der Dynastien, er, der dem Pharao getrotzt hatte und der sich nun anschickte, sein eigenes Reich zu gründen.
Und sie würde es sein, die ihn dazu befähigte.
Gab es ein Leben, das sie zuvor gelebt hatte, Erinnerungen, die so weit und fremd, aber doch Bilder waren? Sie sah sich als junges Mädchen. Sie sah sich, Bücher unter dem Arm, eine hohe Treppe hinauf gehen. Sie saß mit vielen anderen Menschen ihres Alters in einem Raum und lauschte den Worten eines Erwachsenen. Sie stand vor einem aufgeworfenen Erdhügel und sie weinte. Neben ihr stand eine Frau. Sie weinte auch. Man ließ eine schwere Holzkiste in die Erde hinab. Trauer. Töne schwangen in ihr. Musik. Rhythmische Klänge. Von jungen schönen Männern gemacht, die sich gleichmäßig bewegten. Sie hatten einen
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