Der Totenwächter - Roman (German Edition)
Prolog
Als die Sonne aufging und ihr Licht auf die Baugerüste und Aufwerfungen der zukünftigen Pyramiden warf, schwang sich Sephrete von ihrem Schimmel.
Das edle Pferd schnaubte und schüttelte sich.
Bald würden die Handwerker und Sklaven kommen, um ihr unermüdliches Werk fortzuführen. Das Terrain würde von Flüchen, Rufen, mechanischen Geräuschen und dem Klatschen von Ochsenleder auf nackter Haut widerhallen.
Sephrete liebte diese Minuten, bevor auch in Masr das Leben erwachte. Man schlief, bis die Sonne aufgegangen war, ließ sich salben, löste mit einem Spatel den Schmutz und benetzte die Haut mit frischem Quellwasser. Man speiste, gab den Untergebenen Anweisungen und machte sich bereit für Handel und Politik.
Sie hatte nur diese kurze Zeit zwischen Ruhen und Atemholen. Nur dieses Augenblinzeln, um sich mit Mamothma zu treffen, der hinter den Steinwällen auf sie wartete. Sie ging um die Quader herum, wo sie vor Blicken geschützt waren. Er war wunderschön. Schlank, hell wie Gold und unbehaart. Sein kahler Schädel war schmal, die Ohren beringt, die dunklen Augen von ehrgeizigen Brauen überschattet, eine schmale Nase und fein geschwungene Lippen. Muskeln wie gemeißelt, ein flacher Bauch und ein Geschlecht, so ebenmäßig, wie sie noch nie eines gesehen hatte.
Sie war unterwegs, um dem Schimmel in der Kühle des Morgens Bewegung zu verschaffen, soviel zur offiziellen Version. Ihr Vater, Akobeth der Dritte, würde sie verprügeln oder Schlimmeres, wenn er herausfand, was sie wirklich trieb.
Mamothma breitete die Arme aus. Sein nackter Körper war eine einzige Einladung. Sie warf den Umhang weg. Hastig streifte sie den dünnen Stoff von den Schultern und ihre Brustwarzen standen hart und waren bereit für seine Küsse. Er war wie immer schweigsam. Er musste nichts sagen. Sein pulsierender Penis, sein geschmeidiger Körper und seine schweißbedeckte Haut sprachen Worte genug.
Stöhnend ließ sie sich in seine Arme fallen, während er sie auf das im Sand liegende Ziegenfell zog. Seine Küsse benetzten sie am ganzen Körper und sie schauderte, schnurrte und griff ihn mit bebenden Fingern. Sie führte ihn ein und saß auf ihm, als sei er ein junges Pferd, dass es zu zähmen galt. Sie warf den Kopf in den Nacken und ihre langen schwarzen Haare strömten wie Teer über ihre Schultern. Ihre Lippen waren leicht geöffnet und sie stieß die Lust in kleinen Lauten aus.
Mamothma tat, was er konnte, doch sie war die Herrscherin. Sie verordnete die Geschwindigkeit, sie zögerte das Unvermeidliche heraus, solange es ging, und als er sich in sie entleerte, war sie den Göttern nahe.
Sie sank vornüber und küsste seine Wangen.
Er seufzte und sagte mit warmer Stimme: »Irgendwann werde ich etwa sein. Ich werde dich an meine Seite holen, Schönste aller Schönen.«
Sie hauchte ihm Küsse auf die Augen.
Armer Mann, dachte sie. Armer dienender Mann. Nie werde ich an deine Seite können. Du bist arm und ich bin reich. Man würde dich in siedendes Öl werfen, wenn du auch nur mehr als einen Blick auf mich riskierst. Du wirst an den Pyramiden arbeiten und dabei zugrunde gehen.
Sie erhob sich, kleidete sich an und ahnte, dass sie sich beeilen musste. Die ersten Wagen rollten über den Sand und Menschen, hunderte, nein, tausende Menschen, näherten sich der gigantischen Baustelle. Eine dunkle Silhouette des Fleißes.
»Bald, schöne Sephrete«, wiederholte der Jüngling.
»Ja, bald«, gab sie zurück und sah ihm tief in die Augen. Dort loderte ein Feuer, das sie erschreckte und im selben Moment wusste sie, dass sie sich täuschte. Er würde alles tun, um sie endgültig zu besitzen. Alles, was ein Mensch tun konnte.
Und wenn es ihm als Sterblicher nicht gelang, würde er andere Wege finden.
Fröstelnd ging sie zu ihrem Schimmel, stieg auf und ritt davon.
1
Sie war nach Ägypten gekommen, um einen Bericht über Land und Leute zu schreiben. Genauer gesagt, über eine Fahrt auf einem der typischen Nilschiffe und über zeitgeschichtliche Attraktionen, die man an den Ufern des Flusses besichtigen konnte. Die Reportage sollte als vierfarbige Sonderbeilage in einer der nächsten dreifingerdicken Wochenendausgaben der US Today erscheinen. Ganz Amerika würde ihren Namen lesen.
Linda Wayne.
Seit sechs Jahren war sie als Reporterin für diese größte aller Zeitungen tätig. Da der Verlag die Reise bezahlte, hatte Linda ihre Tochter Grace nach Ägypten mitgenommen.
Grace war 13 Jahre alt, ein
Weitere Kostenlose Bücher