Der totgeglaubte Gott
der Erde die Kunst der Großen Trennung praktizieren und es Gottes Reich überlassen, für sich selbst zu kämpfen.
Das andere Ufer
Humes Erwartungen sollten Früchte tragen. Als Hobbes und Locke im 17. Jahrhundert ihre Werke niederlegten, standen sie noch unter dem Zwang, ihre politischen Ideen als durchaus kompatibel mit einem – richtig verstandenen – christlichen Glauben zu rechtfertigen. Als Hume ein Jahrhundert später seine Schriften verfasste, hatte er dies nicht mehr nötig. Das soll nun nicht heißen, dass die Gesellschaft, die Hume anstrebte, notwendig eine nicht-christliche zu sein hatte – obwohl der Philosoph darauf möglicherweise hoffte. Seine christlichen Leser waren von seinen religiösen Ansichten entsetzt und lehnten seinen Skeptizismus ab, doch wo es um politische Dinge ging, zeigten sie sich intellektuell längst bereit, sich an die Prinzipien der Großen Trennung, die er praktizierte, anzupassen. Diese Prinzipien rührten ja nicht an die Wahrheit der christlichen oder einer anderen Offenbarung. Sie besagten ja nur, dass für die Zwecke der politischen Philosophie und der politischen Debatte jede Berufung auf eine höhere Offenbarung als ungerechtfertigt betrachtet werden sollte. Welches Band auch immer zwischen Gott, Mensch und Welt existierte, für das politische Leben wäre es genug, die menschliche Natur zu kennen, im Besonderen die Verbindung zwischen religiösem Glauben und politischem Verhalten.
Wer dieses Prinzip akzeptierte, trat im Grunde für die Auslöschung der politischen Theologie als Kraft im politischen und intellektuellen Leben des Westens ein. Doch eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Daher spielten die klassischen politischen Theologien des Katholizismus und des Protestantentums im 19. Jahrhundert immer noch eine gewichtige Rolle im politischen Leben Europas. Und sie wurden, wie wir gleich sehen werden, unterstützt von einer seltsam modernen Form der politischen Theologie, die sich dem Prinzip der Großen Trennung anschloss. Es ist schon wahr, dass wir heute sozusagen am anderen Ufer jener Doktrin leben, jener vergangenen und gegenwärtigen Kulturen, die ihr politisches Leben und ihre politische Debatte ganz auf die Grundlage der Offenbarung gestellt hatten. Die wichtigsten politischen Institutionen des zeitgenössischen Westens basieren auf der Kunst der intellektuellen Trennung, die von Denkern wie Hobbes, Locke und Hume ausgearbeitet wurde. Doch die Überfahrt war schwierig, und dies nicht nur, weil die lange und festverwurzelte Tradition der christlich politischen Theologie ihr Widerstand entgegensetzte. Ein weiterer Grund war die Tatsache, dass das Bild des religiösen Menschen, welches die Theologie als Fundament westlichen politischen Denkens ersetzte, in sich einige Widersprüche barg.
Kapitel 7
Der totgeborene Gott
Hört ihr das Glöckchen klingeln? Kniet nieder.
Man bringt die Sakramente einem sterbenden Gott.
Heinrich Heine 170
Wir haben also ein Problem: Wir können Gott einfach nicht in Ruhe lassen.
Für die Gläubigen der biblischen Traditionen ist dies aus einem naheliegenden Grund der Fall: Gott lässt nämlich uns nicht in Ruhe. Wir und unsere Welt sind mit ihm durch einen göttlichen Nexus verknüpft. Er ist unser Schöpfer, unser Führer, unser Richter, unser Erlöser. Und eben weil er das ist, muss uns klar sein, wie sehr er uns leben sehen will. Der biblische Gott ist kein ferner Gott, der sich von seiner Schöpfung zurückgezogen hat oder schweigend unter uns wandelt. Er ist der sprechende Gott, der sein Wort an uns richtet und eine Antwort erwartet. Er hat seine Schöpfung für gut befunden, und Himmel und Erde künden seinen Ruhm. Doch er hat uns die Schöpfung auch unvollkommen hinterlassen, und so wenden wir uns an ihn, weil wir wissen wollen, wie wir richtig leben sollen. Wir wollen unser allgemeingültiges Gesetz, die eine Sache, die wir wirklich brauchen. Wenn der Mensch nach Gott sucht, dann weil er das von uns will, weil wir, obwohl wir gefallene Geschöpfe sind, nach seinem Bilde geschaffen wurden.
Das ist eine recht optimistische Sicht des Glaubens. Im 17. Jahrhundert aber war Optimismus dünn gesät. Nach jahrzehntelangen, sinnlosen konfessionellen Streitigkeiten im Gefolge der Reformation, die wiederum Reaktion auf jahrhundertelange Konflikte zwischen Königen, Kaisern, Päpsten, Orden und Konzilen war, schien die Natur des Glaubens nicht mehr so einfach fassbar zu sein. Denn gerade wenn Gott die Quelle wahren christlichen
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