Der Träumer
gesagt? Sie sind Verleger?«
»Verleger von Teppichböden.«
Idiot!
Homerisches Gelächter aller.
Paulchen, Paulchen, wie gut, daß du nicht gezwungen bist, dir das mit anzuhören. Aber ich könnte den Mann beruhigen, es läuft gar nicht so schlecht bei mir.
Die Unterhaltung im Abteil versiegt. Mitleidige Blicke streifen mich. Ich entziehe mich ihnen, indem ich aufstehe und mich draußen im Durchgang ans Fenster stelle.
An mir vorbei fliegt sonnenhell deutsches Land. Fleißige Menschen arbeiten auf den Feldern. Vor einem Schober küßt sich ungeniert ein bäuerliches Paar. Ich trommle mit den Fingern an die Scheibe, es ist ein großer Rhythmus … Mozart, ha … du Ironie der Kunst … ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich.
Die Finger trommeln, ja, ich pfeife jetzt sogar … mich zu zerfleischen ist die letzte Lust, die mir noch bleibt.
Der Zug hält. Endstation. Drei Brücken sind vor uns gesprengt, die Schienen hat die Faust des Wahnsinns aus dem Schotter gerissen. Der Anschlußzug steht sieben Kilometer weit von hier. Schon sehe ich die ersten Leute laufen, die ihn erreichen wollen. Soll ich in ihrer Mitte um die Wette traben? Nein. Ich lasse sie rennen.
Glück widerfährt mir. Ein Laster mit Kohlen erbarmt sich des einsamen Mannes am Straßenrand. Ich winke ihm nur zaghaft, ohne große Hoffnung, trotzdem hält er an. Allerdings werde ich zu den Kohlen verbannt, und nun sitze ich also hoch oben auf den rutschenden Briketts und erlebe eine Reise, die ich nie vergessen werde. Der Wind reißt mir den Hut vom Kopf, entführt ihn mir auf Nimmerwiedersehen. Die helle Sommerhose erfährt auf den schwarzen Kohlen ganz rasch ihren völligen Ruin. In einer Zeit, die keinen Ersatz für Verlorenes oder Kaputtes kennt, sind das Schläge, die normalerweise zur Verzweiflung treiben. Ich aber lächle, träume. Ich habe im Traum Paulchen bei mir.
Das war ein seliger Tag, o Träumer, ein Geschenk der Freude. Du mußt es nur verstehen, diese Gabe zu verwerten. Im dicken Grau des Alltags sieht nur der den zagen Sonnenstrahl, der innerlich ein Leuchten binden kann.
Jetzt hat die Einsamkeit mich wieder. Ich sitze am Blumenfenster meines Häuschens und kann so lange in den trüben Himmel starren, bis mir die Augen weh tun. Die Sonnentage sind der trägen Regenflut gewichen, die Tropfen reihen sich zu einem grauen Perlenvorhang vor dem Blick, und dieses Grau ist lichtlos, wenn nicht in der eigenen Brust die Freude widerleuchtet vor dem stillen Glanz des Lebens.
Einst habe ich mein Dasein nach den Philosophen angesehen. Ich habe Schopenhauer heiß geliebt, weil er die Menschen haßte, und beugte mich vor Kant, der unser Ideal geheiligt. Ich las mit glühenden Wangen Nietzsche und die Worte des Descartes und fühlte, wie der Bau der Welt nur schwankend in den Angeln lag. Oh, damals war ich jung, ein hitziger Student des Geistes, und glaubte, mit dem Überschwang der Jugendlust die Flut der Wahrheit einzudämmen und diesen Deich das ›streng reale Denken‹ zu benennen. Wie töricht war dies alles, und doch möchte ich's nie missen, denn leblos nenne ich den Menschen, der nicht in sich selbst den Menschen suchte.
Heute weiß ich, daß das Leben alle Grenzen sprengt, denn jede drängende Philosophie ist konsequent, das Leben aber hält sich nur durch dauernde Inkonsequenzen. Ich wollte einen Philosophen aus mir machen und wurde so ein Schriftsteller – wer weiß, vielleicht zum Guten. Wer nämlich die Welt liebt, muß sie hell besingen, der kritikoffene Geist wird sie verdammen. Mir blieb die Wahl, und ich ergriff die Leier, da ich der Schwerter Fülle nicht vermehren mochte. Und singt das Herz auch oft nach blutigen Noten – es singt, und seine Stimme läßt mich glücklich sein.
Dazu gehört, daß ich ein Träumer bin. Ja, ich träume gern von Idealen, die jenseits unserer Menschheit liegen und nur dadurch nicht irdisch befleckt werden. Oft kann ich am Fenster meines Häuschens sitzen und in die Weite meiner Berge sehen – und wenn ich wie aus einem tiefen Traum erwache, ist schon der Abend über alle Grate aufgestiegen, und es reitet auf der höchsten Kuppe dick der Nebel.
Warum nennt man mich oft den Lebensfernen? Ist es nicht schön, sich selbst das Leben zu bereichern, indem man seinen engen Kreis verläßt und – sei's auch nur mit den Flügeln der Sehnsucht – in himmelhohe Fernen schwebt? Sie sind ein Geschenk, die Stunden dieser menschlichen Besinnung, und weich wird jener harte Blick, den sich die
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