Der Träumer
Seele nahm zum Dolmetsch ihrer Träume …
Ach Paulchen, sei dem armen Träumer gnädig, der jetzt nicht weiß, ob er dich wirklich sah oder auch nur ein Schattenbild seiner inneren Wünsche faßte. Ist es nicht Frevel, dich zu lieben, o Ersehnte, und dein erdenhaftes Leben in das Traumreich meiner Phantasie zu setzen? Du hörst in dir das Klopfen deines dunkelroten Blutes, du kannst die Hand fest auf den zarten Busen pressen … des Dichters Adern füllt der Nektar von den Göttertischen, und seine fleischliche Hülle ist nichts als der Mantel seiner Seele. Ist dies ein Hindernis, darf ich dich deshalb nicht lieben? O doch, denn ich liebe ja den Menschen, bin sein Rhapsode, seine Stimme, sein verdichtetes Gefühl. Ich will ein Dichter sein, Paulchen … und ich sollte dich nicht lieben, nicht lieben dürfen, weil ich unter oder über diesen Menschen stehe?
Verzeih mir, daß ich denke, wo ich fühlen sollte, ich vergesse eben nicht, kann es nicht vergessen, daß der Mensch nur eine Puppe in den Händen des Gefühls ist, wenn er das Spiel nicht leitet mit dem Wesen seines Geistes.
Es klopft. Wer mag mich jetzt besuchen? Ach, es ist ein Freund, ein seltener Freund, ein Schriftsteller … auch ein Träumer. Wohlan denn, Bruder, träumen wir gemeinsam weiter, es ist ein neckisch Spiel, die Träume sich wie Bälle zuzuwerfen.
»Du bist so still«, spricht zu mir der Freund. »Und deine Augen glänzen nicht, wie einem Bräutigam es eigentlich ansteht. Was ist?«
»Ich denk' an Paulchen«, sage ich und schweige wieder. Was weiß er, was die Wirklichkeit an Kapriolen schlägt, und daß dieses Leben nie mit Logarithmen zu berechnen ist.
»Ist alles klar mit dir und Paulchen?« fragt er weiter.
»Ich liebe sie«, ist meine Antwort.
»Und sie? Sie liebt dich wieder?«
Oh, ich weiß es nicht. Ich möchte laut es schreien, daß die Wände gellen und schreckhaft die Blumen vor mir welken. Doch leise sag' ich nur: »Vielleicht – wir sprachen nicht darüber.«
Der Freund sieht mich mit deutlichem Erstaunen an. Er schüttelt leicht das Haupt und rückt an seiner Brille.
»Ich denke, du bist hingefahren, um dies nun alles zu regeln? Du bist doch extra – na, ich weiß ja nicht, jedoch glaube ich …«
Ja, ich glaub' doch auch – es ist allein nur dieser Glaube, der mich hält, denn wüßte ich, daß Paulchen mich nicht liebt, ich schluchzte längst in deinen Armen wie ein Weib. Und ich bin nur gefahren, um dies alles aufzuklären? Hat nicht der Drang, allein nur sie zu sehen, mich in ihre Stadt getrieben?
O Freund, was ahnst du von den Nöten deines Freundes? Wie könntest du das auch, da meine Augen klar und kühl sind und meine Stimme trocken klingt. Wie lästerlich gefühllos mußt du mich doch sehen.
»Ich habe Paulchen eine Frist gegeben«, sage ich und wundere mich, wie leicht ich heute lügen kann. »Ich will nichts überstürzen, weißt du, sie soll klar und sicher sich entscheiden. Ich möchte nicht, daß sie den wichtigsten Schritt des Lebens einst bereut.«
»Und wann, denkst du, ist alles klar mit euch?«
»Wenn jeder unbewußt des anderen Nähe sucht.«
»Mir scheint, daraus kann eine reichlich lange Wartezeit entstehen.«
»Um unser Leben danach auszurichten, ist sie kurz.«
Der Freund schweigt, und ich sinne weiter in den Bergesnebel und möchte jetzt hoch oben auf den Graten stehen im Milchgrau dieser Wolken. Auf meine Schulter legt sich plötzlich eine Hand.
»Ist Paulchen hübsch?« fragt leise jener Freund.
»Sie ist ein Sonnenstrahl. Nennst einen Sonnenstrahl du hübsch?«
»Ich nenne ihn die Lebenskraft.«
Ich nicke. »Dann weißt du auch, wie Paulchen ist und was sie mir bedeutet.«
Es ist, als schrecke plötzlich dieser Freund zurück. Hab' ich gelästert, als ich Paulchen eine Sonne nannte? Ach, bester, liebster, treuester Freund – ich träumte doch schon wieder, und wer im Traum die Götter menschenwürdig lobt, ist nicht ein Ketzer, denn die Götter schenken uns den Traum.
»Was willst du tun?« fragt nun des Freundes Stimme weiter. »Willst du hier auf sie warten?«
»Sie wird schreiben.«
»Und wird sie auch in diese Berge kommen?«
»Sie wird schreiben.«
»Wird sie mit dir in diesem Hause wohnen, oder ziehst du in die Stadt?«
»Ach Freund, sie wird mir schreiben.«
»Und du? Du willst nichts tun als warten?«
»Ich werde glauben, daß ich warten kann, und ich muß warten, weil ich glauben will.«
»Und wenn sie weder schreibt noch kommt?«
»So ist auch dies ein
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