Der Träumer
Lösung weiß. Ob Paulchen mich auch wirklich lieben kann? Mir ist es unbegreiflich, wirklich, ich versteh' die Frauen nicht, die heiß behaupten, daß sie willenlos mich lieben. Wenn ich mich selbst in einem Spiegel sehe – na ja, ich weiß nicht, ob die Liebe doch nicht Lüge ist. Die langen, stumpfen Haare sind nicht liebenswert, der schlanke Körper wirkt mir gar zu schmächtig, das ganze Antlitz ist durchdrungen von Arroganz und Dünkel. Allein die blauen Augen könnte man gelten lassen – und sie allein kann eine Frau nicht lieben.
Wirklich, es ist ein großes Rätsel, ob ich Paulchen auch gefalle. Ich kann es nicht begreifen bei dem Mittelmaß, das ich an mir entdecke. Vielleicht verwandelt sich der Mensch in den Augen einer liebesoffenen Frau, vielleicht empfindet sie als schön, was ich verachte. Jedoch, was kümmert's mich, was starre ich so dümmlich in den Spiegel – in einer halben Stunde ist doch Paulchen hier und legt mich in die Schale meiner Schicksalswaage.
Das Pfeifen meines Freundes ist verstummt. Ob er noch immer streut und jetzt vielleicht Girlanden windet? Wenn er ein Schild mit Blumenschrift ›Herzlich willkommen‹ noch verborgen hat, dann erschlage ich ihn mit diesem Schild – wahrhaftig, ohne Reue tu' ich das!
Jedoch, der Freund ist fort, er hat sich leise weggeschlichen und läßt mich jetzt in meiner peinigendsten Stunde noch allein.
Oh, dieser Schuft, dieser billige Freund – nur pfeifen kann er, mit Aphorismen zur falschen Zeit um sich werfen und Blumen am falschen Ort streuen –, doch wo und wann er echt helfen sollte, kriecht er in den Busch und läßt den Freund allein in seinem eigenen Safte schmoren.
Wahrhaftig, Magenschmerzen habe ich jetzt auch noch, die Kehle ist so trocken, und schon dreimal war ich auf der Toilette! Ob das das Lampenfieber ist, von dem man in vielen Büchern liest und das ich immer als den Ausdruck einer Willensschwäche sah? Bin ich im Willen schwach? Ach was, ich weiß schon, was ich will – jedoch, ich weiß nicht, ob das, was ich will, auch richtig ist.
Noch eine Viertelstunde. Von fern pfeift schon der Zug. Oh, Paulchen, Paulchen, kennst du diesen Drang, mit dem Kopf gegen eine Wand zu rennen, um endlich dieses innere Zittern abzutöten? Wo bleibt denn meine weitgerühmte Burschikosität, die Frechheit meines Fanttums, meiner Jungenhaftigkeit? Es hat doch keinen Zweck, untätig hier herumzustehen. Nervös schon schlagen meine Knie aneinander. Dies Warten ist ja fürchterlich, es ist das Fegefeuer meiner schwarzen Seele. Hätt' ich den Schnaps vor mir selbst nicht weit versteckt, es hielte mich keiner ab, mich zu betrinken.
O Paulchen, welchen Menschen willst du lieben?
Ich pfeife überlaut und grell den Triumphmarsch aus Aida.
Von fern heult es, es schweben weiße Wolken aus der Senke, das Rollen vieler Räder aus Stahl erschüttert die Luft, der Zug kommt. Paulchen sitzt darin … ich pfeife, und die Finger trommeln hart den Rhythmus an die blankgeputzte Fensterscheibe. Da naht die lange Schlange schwarzer Wagen, stampft in das Tal und windet sich um einen Berg. Die Dampfpfeife schrillt, und der Rauch pufft aus der Esse, aus kleinen Fenstern recken sich noch kleinere Köpfe, um Ausschau zu halten nach dem Bahnhof – und ich steh' hier in meinem, Wohnzimmer, beobachte das ganze Schauspiel, als ginge es mich nichts an, statt dort am Bahnhof die Ersehnte zu erwarten. Ich starre in das Tal und trommle, statt sie den Berg heraufzuführen …
Ich bin ein alter Trottel, wirklich, bin noch immer ein Phantast, ein Träumer … ich bin nicht wert, daß man nur eine Sekunde an mich denkt!
Der Zug entschwindet meinen Blicken, hält im Bahnhof. Ich sinke in den Sessel, schließe fest die Augen und verfluche mich. Jetzt stauen sich die Menschen an den Sperren, es leert der Bahnsteig sich, nur eine junge Dame steht allein noch in der Halle, sieht sich um, sucht jemanden, schüttelt ihre blonden Locken, wartet ratlos, blickt ständig um sich, wartet …
Die Leute drängen sich an ihr vorbei, sie hasten nach dem Ausgang … und Paulchen wartet, wartet.
Ich stöhne, stampfe mit den Füßen auf die Erde und hasse mich, wie ich noch keinen fremden Menschen gehaßt habe. Ich kann nicht sagen, warum ich nicht zum Bahnhof lief, ich weiß nicht, welcher Wahnsinn mich gefangenhielt.
Durch meine Finger, die ich vor das Antlitz halte, blicke ich auf die Uhr – 11.10 – jetzt muß sie den Bahnhof verlassen haben, nachdem sie den Weg zu mir erfragt hat. Und
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