Der Traum der Hebamme / Roman
Geleitmannschaft zusammengestellt. Hedwig bat ihn, auch Lukas und Marthe mitzunehmen, und wies den Küchenmeister an, ausreichend Proviant für die Reisegesellschaft zusammenzupacken.
Während Dietrich und Hedwig noch unter vier Augen miteinander sprachen, stand Lukas eine ebenso vertrauliche, aber nicht minder offene Unterredung mit seinem Bruder Jakob bevor.
Er hatte dem Jüngeren beim Wiedersehen nach langer Zeit sein Beileid zum Tod seiner Tochter ausgedrückt.
Jakob dankte, dann herrschte beklommenes Schweigen zwischen ihnen.
Marthe wusste, dass die ungleichen Brüder einiges zu klären hatten, sollte dieses Schweigen nicht in offene Feindseligkeit umschlagen.
Das müssen sie unter sich austragen, entschied sie, ließ die beiden kurzerhand stehen und suchte ihren Neffen.
»Wie geht es dir?«, fragte sie, als sie vor dem Jungen stand.
Der musterte sie mit hängenden Schultern.
»Wie soll es mir gehen?«, meinte er widerwillig. »Ich bin der Sohn eines Feiglings, der Bruder einer toten Sünderin und habe Spitzeldienste geleistet, damit meine Mutter nicht auch irgendwann eines Tages zerschmettert am Fuß eines Berges liegt.«
Er stieß einen Stein mit dem Fuß weg und starrte irgendwohin in die Ferne, an Marthe vorbei.
Albrecht verstand es wirklich, aus Menschen das Schlechteste herauszuholen, ging ihr durch den Kopf, während sie den jüngeren Jakob fragte, ob er sie nicht in den Kräutergarten begleiten wolle.
Es war dem Zwanzigjährigen anzusehen, dass er nicht im Geringsten Lust dazu verspürte und von seiner Stieftante weder Rat noch Trost und schon gar keine Moralpredigt hören wollte.
Doch blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
Es bedurfte in der Abgeschiedenheit des Gärtchens nur ein paar gezielter Fragen und ruhigen Zuhörens von Marthe, bis der Junge zusammenbrach und zu schluchzen anfing.
Marthe wartete geduldig, bis er bereit und fähig war, zu sprechen und sein Herz auszuschütten: über jenen schrecklichen Tag, als sein Vater verbannt und er und Luitgard zu Albrecht befohlen worden waren … über sein Entsetzen angesichts der Nachricht vom Tod seiner kleinen Schwester und der Gerüchte, die sich darum rankten … und darüber, dass er gezwungen war, Hedwig zu belauschen und Albrecht dazu regelmäßig Berichte zukommen zu lassen.
»Ich wollte ihr nicht schaden … Sie ist eine gütige Frau«, beichtete er, von Kummer geschüttelt. »Aber wenn ich es nicht getan hätte, würde unsere Familie dafür büßen. Irgendwann … hab ich mir ein Herz gefasst und es der Gräfin gestanden.«
»Was hat sie gesagt?«, fragte Marthe, obwohl sie die Antwort ahnte. Hedwig war viel zu klug, um in solch eine plumpe Falle zu tappen.
»Sie hat gelächelt … und gemeint, sie wüsste es längst und würde mir keinen Vorwurf machen. Sie habe ihren Sohn stets nur das wissen lassen, was er glauben sollte. Ich war also ein Spitzel, aber ein dermaßen schlechter, dass ich beide Seiten verriet. Ich habe keine Ehre, so wie mein Vater keine hat. Deshalb bin ich auch nicht würdig, ein Ritter zu sein. Alles wäre anders gekommen, hätte mich mein Vater damals bei Lukas und Euch gelassen. Stattdessen sitze ich hier und heule einer Frau etwas vor.«
Mit dem Ärmel wischte sich Jakob Rotz und Tränen vom Gesicht.
»Es ist nichts Unritterliches daran, wenn du um deine Schwester trauerst«, lenkte Marthe behutsam ein. »Und du tatest das Richtige, als du dich Hedwig anvertraut hast.«
Stur schüttelte Jakob den Kopf. »Ich habe meinen Fürsten verraten.«
»Tat das Lukas auch in deinen Augen, als er sich gegen Albrecht auflehnte, floh und in die Dienste von dessen Gegnern trat?«
Irritiert schwieg der Junge.
»Lukas hat sein Leben gewagt«, sagte er schließlich.
»Das war nicht die Frage«, beharrte seine Stieftante. »Bei allem Gehorsam, den wir den von Gott gewählten Herrschern schuldig sind – man muss in erster Linie seinem Gewissen folgen. Und die Konsequenzen tragen, so oder so.«
»So könnt ihr jetzt wenigstens sagen, dass ihr Helden wart«, widersprach Jakob zynisch. »Ich dagegen werde auf alle Zeit ein Verräter bleiben.«
»Machst du es dir nicht etwas zu leicht?«, hielt sie ihm vor, nun deutlich strenger. »Vielleicht solltest du besser darüber nachdenken, wie du dir einen guten Ruf erwirbst, statt in Selbstmitleid zu zerfließen?«
»Hier?« Schon dieses eine Wort drückte Protest und Zweifel aus.
»Frag Lukas, ob du zu uns als Knappe bis zu deiner Schwertleite
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