Der Traum der Hebamme / Roman
niemand, darauf hinzuweisen. Und Vogt Heinrich liebte sein Amt so sehr, dass er sich mit niemandem anlegen würde, der als Günstling des Markgrafen galt.
Christian kam die Zeit im Kerker wie eine Unendlichkeit vor. Im untersten Verlies des runden Bergfrieds konnte er nur an den Geräuschen erahnen, die durch die Luke zur Wachstube zu ihm drangen, ob es Tag oder Nacht war.
Große Geschäftigkeit, gebrüllte Rufe und Befehle, das Wiehern von Pferden kündeten am nächsten Morgen vom Aufbruch der Heerschar. Von brennendem Durst und Schmerz gequält, fragte sich Christian, ob der Burgvogt möglicherweise vorhatte, seinen Stallmeister eher wieder an die Arbeit zu schicken, wenn die markgräfliche Streitmacht erst fort war. Doch diesen Gedanken gab er bald auf.
Ob Peter wohl etwas unternahm, um ihm zu helfen? Oder Jonas? Was könnten sie überhaupt tun?
Wir sind für sie wirklich der letzte Dreck, dachte er bitter.
Wenn Christian oder Lukas und Marthe noch hier wären! Sie hätten das nicht zugelassen. Aber nun ist niemand mehr da, der uns schützen kann. Jetzt sind wir vollkommen ausgeliefert. Und nicht einmal Gott will uns helfen.
Da Jonas für das Begräbnis seiner Frau sorgen musste, sprach der Bergschmied Karl sofort nach Aufbruch von Albrechts Streitmacht beim Burgvogt vor, um Gnade für den Stallmeister zu erbitten. Einer der Stallburschen hatte ihm heimlich die schlimme Nachricht überbracht.
»Das kommt nicht in Frage!«, blaffte der stiernackige Vogt aufgebracht über dieses dreiste Anliegen. Mit einer schroffen Handbewegung erstickte er jeden weiteren Einwand des Ratsherrn und wies zur Tür.
Wie hätte ich auch glauben können, dass der es wagt, einem Befehl nicht zu folgen, dachte Karl grimmig.
»Wollt Ihr nicht wenigstens erlauben, dass sich meine heilkundige Schwester um seine Wunden kümmert?«
»Meinetwegen!«, knurrte Heinrich in gespielter Großzügigkeit, der sich sehr wohl überlegt hatte, dass es auf der Burg keinen rechten Ersatz für den tüchtigen Stallmeister gab. »Aber es bleibt dabei – er kriegt nichts zu essen!«
Bevor der Vogt seine Meinung wieder ändern konnte, ging Karl zu seinem Haus, in das er seine Schwester und ihre Kinder aufgenommen hatte, die angeblich von ihrem treulosen Mann und Vater im Stich gelassen worden waren.
Johanna packte zusammen, was sie brauchte; nicht nur Tinkturen und Salben, sondern auch einen Kanten Brot, den sie unter ihrem Kleid versteckte. Karl nahm noch einen Hälfling mit, um den Wachposten gnädig zu stimmen.
Der Plan ging auf. Der Mann über dem Verlies – mürrisch und offenkundig von der Gicht geplagt, wofür ihm Johanna eine lindernde Salbe versprach, um seine Laune zu bessern – gab sich damit zufrieden, einen Blick in den Korb zu werfen und an einer Flasche zu riechen, deren Inhalt nach dem Entstöpseln einen beißenden Gestank verströmte. Dann öffnete er die Luke im Boden und forderte Karl auf, selbst die Leiter hinabzulassen.
Johanna hatte ein Unschlittlicht mitgenommen und gab sich alle Mühe, nichts von ihrem Erschrecken über Christians Aussehen zu zeigen. Sein Gesicht war blutverschmiert und geschwollen, vor Durst konnte er kaum reden. Im flackernden Schein der Flamme drückte sie ihm kühlende Tücher auf die aufgeplatzte Haut, dann träufelte sie eine streng riechende Tinktur darauf, die fürchterlich brannte.
»Hältst du es noch bis heute Abend aus?«, fragte Karl leise, während er dem Jüngeren etwas von dem Wasser reichte, das Johanna vorausschauend in eins ihrer Tonkrüglein gefüllt hatte, in denen sie sonst Heiltränke aufbewahrte.
Er selbst kannte das Verlies nur zu gut; hier hatte ihn Randolf einst so furchtbar foltern lassen, dass er fast gestorben war.
Durstig trank Christian, bis ihm beinahe wieder schlecht wurde, dann versuchte er, den rebellierenden Magen mit einem Bissen Brot zu beruhigen.
»Sagt Anna, sie soll sich keine Sorgen machen!«, meinte er mit gequältem Lächeln. »Und meinem Jungen, er soll den Mund halten, damit er nicht auch noch Ärger bekommt.«
Johanna versprach beides, doch selbst in dem trüben, flackernden Licht konnte er das Mitgefühl in ihren Augen sehen. Wie sollte sie die junge Frau dazu bringen, sich nicht um ihn zu sorgen? Und wie einen Sechsjährigen, zu schweigen, obwohl seinem Vater solches Unrecht zugefügt wurde?
»Es hat vielleicht auch sein Gutes, dass Albrecht seinen Bruder überfallen will«, flüsterte Christian, damit der Wachposten oben davon nichts
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