Der Traum der Hebamme / Roman
mehr galt als ein Knecht, so konnte er nie sicher sein, dass sich Albrecht nicht doch daran erinnerte, dass er mit diesem besonderen Freiberger eine alte Rechnung offen hatte. Zwar lag das ein Dutzend Jahre zurück, und Christian war nun kein dürrer, zehnjähriger Pferdebursche mehr, sondern ein Mann mit breiten Schultern und starken Armen. Aber zumindest Elmar würde wissen, wer er war und wessen Namen er trug.
»Ob die dicke Vögtin wieder ein paar von den hiesigen Huren für uns auf die Burg geholt hat?«, fragte erwartungsfroh zwei Schritte entfernt von ihm einer der meißnischen Ritter seinen Nebenmann. »Die ich das letzte Mal hier hatte, war wirklich unersättlich.«
»Und wenn nicht – spätestens in drei Tagen sind wir in Weißenfels. Da holen wir uns die Weiber und müssen nicht einmal dafür bezahlen«, meinte der Gefragte mit einem selbstgefälligem Grinsen, wobei er mehrere Zahnlücken offenbarte. Der Gedanke schien ihm zu gefallen, denn schon kratzte er sich unter dem Gambeson.
»Ihr schwatzt zu viel!«, erklang von hinten eine wütende Stimme.
Christian erkannte sofort, wem sie gehörte, und gab sich alle Mühe, den Anschein zu erwecken, nichts von dieser Unterhaltung mitbekommen zu haben. Umsonst. Rutger, Ziehsohn des Truchsessen und dadurch trotz seiner Jugend seit Lukas’ Gefangennahme und geplanter Hinrichtung Befehlshaber über die Wachmannschaft der Freiberger Burg, trat mit eisiger Miene näher.
»Da ihr Tölpel ausgeplaudert habt, was keiner wissen soll, sorgt gefälligst dafür, dass dieser Bastard es nicht weitersagen kann«, befahl er den zwei Rittern, die sich mit einem Blick verständigten. Dann zog einer von ihnen seinen Dolch. Christian hatte keine Möglichkeit auszuweichen, weil ihm der Schimmel den Fluchtweg versperrte. Ihm blieb nicht einmal Zeit, Gott in Gedanken um freundliche Aufnahme zu bitten.
»Nicht doch!« Eilig hielt Rutger den Mann zurück, der seine Klinge in die Brust des jungen Stallmeisters bohren wollte. »Er wird für die Pferde gebraucht. Aber zwei Tage in Ketten und eine ordentliche Tracht Prügel sollen ihn davon abhalten, mit dem Erlauschten zu prahlen.«
Ein meckerndes Lachen, dann riss jemand Christian die Arme nach hinten, und der zweite Ritter drosch auf ihn ein, bis er zusammensackte.
Der Vorfall sorgte für Aufmerksamkeit; etliche der Ritter verharrten, um zuzusehen, die Knechte dagegen versuchten, sich möglichst unbemerkt zu verziehen. Niemand von ihnen wagte es, dem bedrängten Stallmeister zu Hilfe zu kommen. Das wäre ein nutzloser Versuch, der nur zu einem weiteren Strafgericht führen würde.
Blut von einer aufgeplatzten Augenbraue rann Christian über die Schläfe, während er sich mühsam wieder hochrappelte. Dabei konnte er der Versuchung nicht widerstehen, Rutger ins Gesicht zu schauen, auch wenn er wusste, dass dies sehr unklug war. Dieses Scheusal stand seinem Vater in nichts nach, was Boshaftigkeit und Grausamkeit anging. Und vom Ziehvater hatte er die Durchtriebenheit und Hinterhältigkeit.
Christian und Rutger waren fast gleichaltrig, beide Anfang zwanzig, und sie hassten einander, wie Rutgers Vater Randolf und der Anführer der ersten Siedler, dessen Namen Christian trug, einander gehasst hatten. Nur hatte der Stallmeister keine Aussicht, es dem Ranghöheren heimzuzahlen. Er war von vornherein der Unterlegene in diesem Zwist.
Das kostete Rutger wieder einmal genüsslich aus.
Er kniff ein Auge leicht zu, dann wuchtete er Christian die Faust in den Unterleib. Der sackte erneut zusammen, nur von den Händen eines der Ritter gehalten, und erbrach seine letzte Mahlzeit auf Rutgers Stiefel.
Randolfs Sohn zog wütend die Reitgerte aus dem Gürtel und hieb sie Christian links und rechts übers Gesicht. Der Stallmeister spürte, wie seine Haut aufplatzte und Blut über seine Wangen lief.
»Los, du Bastard, putz mir die Stiefel!«, brüllte der Ritter einen Halbwüchsigen an, der es nicht geschafft hatte, sich rechtzeitig zu verdrücken. Vielleicht hatte der Junge auch beobachten wollen, was mit dem Stallmeister geschah.
»Und den hier werft ins Verlies!«, befahl Rutger den beiden Rittern. »Dort soll er bis morgen Abend hocken, ohne Wasser und Brot, damit ihm die Lust vergeht, zu prahlen, was er hier aufgeschnappt hat. Der Vogt selbst haftet mir mit seinem Kopf dafür!«
Zwar war der Anführer der Wachen nicht berechtigt, einem Burgvogt Befehle zu erteilen, doch da Rutgers Stiefvater der Truchsess des Markgrafen war, wagte es
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