Der Traum der Hebamme / Roman
ganze Familie wurde in die Sklaverei verkauft. Aber Godwin nahm sich des Mädchens an, und schließlich heiratete er sie.«
Das ließ Thomas keine Ruhe. Immerzu musste er an sie denken und daran, welch ungewöhnlichen Umstände aus ihr erst eine Sklavin, dann die Frau eines Mannes mit deutschen Wurzeln gemacht haben mochten. Er hatte gehört, dass nach dem Fall Jerusalems Tausende Christen in die Sklaverei verkauft wurden, weil sie kein Lösegeld zu zahlen vermochten. Und er konnte sich ausmalen, welches Schicksal junge Mädchen und Frauen in der Sklaverei erleiden mussten. Aber wenn er sich vorstellte, dass sich dieser Alte Eschiva in sein Bett befohlen hatte, loderte blanker Zorn in ihm auf.
Der Alptraum von Jerusalem
A ls sich einer von Thomas’ Besuchen im Krankensaal bis zum Abend hinzog, sah er, wie Eschiva sich neben dem Bett ihres kranken Mannes zum Schlafen zusammenrollte – einfach so auf dem Boden. Offenbar wollte sie auch in der Nacht nicht von seiner Seite weichen, falls ihm etwas fehlte.
Den Anblick konnte er kaum ertragen. Deshalb ritt er am nächsten Tag nicht gleich vom Sankt-Nikolaus-Tor zum Spital, sondern nahm einen Umweg über den Markt. Er hatte zuvor gründlich in seinen Sachen nach etwas gesucht, das er am ehesten entbehren konnte, und entschied sich schließlich für sein zweites Paar Schuhe, das er vor dem Aufbruch beim Schuhmacher in Weißenfels in Auftrag gegeben hatte. Er knüpfte die ledernen Bänder zusammen und befestigte sie an seinem Gürtel.
Das lärmende Treiben auf dem Markt faszinierte ihn, stimmte ihn aber auch etwas hilflos. Sein Bestreben, die Sprache der Hiesigen zu lernen, scheiterte nicht zuletzt daran, dass es hier ein Gewirr von vielen Sprachen gab. Als Ritter war er es auch nicht gewohnt, auf dem Markt zu kaufen und um den Preis zu feilschen. Der Waffenschmied hatte feste Preise je nach Qualität und Art der Arbeit, ebenso der Schuhmacher, seine Pferde bekam er von Raimund, mit dem er über Geld nicht stritt, alles andere besorgten Mägde und Knechte oder Knappen für die Ritter.
Aber das Feilschen schien hier ein wahres Fest für alle Beteiligten zu sein und wurde mit größter Leidenschaft betrieben. Das konnte er an den Gesichtern und Gebärden sehen, auch ohne ein einziges Wort von dem Lärm um sich herum zu verstehen.
Hier, dieser dürre Alte mit dem roten Tuch um den Kopf machte einer verschleierten Frau gerade lautstark klar, dass es ihn an den Bettelstab bringen würde, wenn er ihr das Huhn für so wenig Geld überließ. Und am Stand nebenan schrie der rundliche Händler zwei Frauen etwas nach, die sich gerade beleidigt angesichts des geforderten Preises abkehrten. Nun drehten sie sich wieder zu ihm um, wenn auch widerwillig, aber ihr erwachendes Interesse und die Beflissenheit, mit der der Händler ihnen zwei der dunkelroten Früchte in die Hand drückte, ließ erkennen, dass man sich wohl einigen würde.
Thomas führte Drago behutsam an den Ständen mit Früchten, Nüssen und Gewürzen vorbei, wehrte höflich ein paar Stoffhändler ab, die ihm Bahnen in leuchtenden Farben vor die Augen hielten, ebenso einen Kupferschmied, der schön getriebene Schalen und Gefäße anpries. Endlich entdeckte er, wonach er suchte, und hielt geradewegs auf einen Mann mit einer gewaltig gebogenen Nase zu, der ihn vage an die Freiberger Fuhrleute Hans und Friedrich erinnerte.
Dabei wurde ihm bewusst, dass er sich somit schon als interessiert an der Ware gezeigt hatte, was den Preis zweifellos in die Höhe treiben würde. Aber nun war es zu spät, und er wollte auch keine Zeit vertrödeln. Entschlossen wies er auf das größte der am Stand ausgebreiteten Schaffelle.
Das setzte bei dem Hakennasigen sofort einen gewaltigen Wortschwall in Gang. Er griff nach dem Fell, hielt es Thomas unter die Nase, strich über die langen, flockigen Haare, bog sie auseinander, dann drehte er das Fell um und zeigte unter lauten Lobpreisungen, wie ordentlich es auf der Rückseite gegerbt war.
Mit ein paar deutschen Worten gab Thomas zu erkennen, dass er nicht verstand, was aber die Sprachgewalt des Verkäufers nicht im Geringsten dämpfte. Ungeduldig löste Thomas das Paar Schuhe vom Gürtel, stellte es auf den Ladentisch und bedeutete mit einer Handbewegung, dass er tauschen wolle.
Der Händler begriff sehr wohl und setzte sofort zu einem neuerlichen Wortschwall an, klagend und kopfschüttelnd. Nach einigem Hin und Her einigten sie sich. Thomas war seine Schuhe los und hatte dafür ein
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