Der Traum des Kelten
unberührten Sümpfe, an deren Ufern die aus der Gegend stammenden Ponys grasten, und den in entsetzlicher Armut lebenden Menschen, für die es weder Schulen noch Ärzte gab und die vollkommen sich selbst überlassen waren. Zudem waren gerade einige Fälle von Typhus aufgetreten, so dass man den Ausbruch einer gefährlichen Epidemie befürchten musste. Der Mann der Tat in Roger, der bisweilenruhen mochte, jedoch niemals ganz einschlief, trat sofort in Aktion. Er schrieb einen Artikel für The Irish Independent mit dem Titel »Das irische Putumayo« und gründete einen Hilfsfonds, deren erster Unterstützer er selbst war. Gemeinsam mit der anglikanischen, der presbyterianischen und der katholischen Kirche sowie diversen Wohltätigkeitsorganisationen organisierte er öffentliche Veranstaltungen und ermunterte Ärzte und Krankenschwestern, als Freiwillige in die Dörfer von Connemara zu gehen, um das rudimentäre staatliche Gesundheitswesen zu unterstützen. Die Kampagne hatte Erfolg. Zahlreiche Spenden aus Irland und aus England gingen ein. Roger reiste dreimal in die Region, um den Betroffenen Medizin, Bekleidung und Lebensmittel zu bringen. Darüber hinaus gründete er ein Komitee, das die Einrichtung von Krankenstationen und Grundschulen in Connemara erwirken sollte. Zwei Monate lang traf er sich unermüdlich mit Priestern, Politikern, Intellektuellen und Journalisten. Er war selbst verblüfft über die Hochachtung, mit der ihm sogar Personen begegneten, die seine nationalistischen Positionen nicht teilten.
Im Juli fuhr er nach London zu einer ärztlichen Untersuchung, durch die sich das Foreign Office bestätigen lassen wollte, dass die gesundheitlichen Probleme, mit der er seinen Austritt aus dem Diplomatendienst begründet hatte, der Wahrheit entsprachen. Roger fühlte sich infolge der regen Geschäftigkeit, mit der er sich für eine Eindämmung der Epidemie in Connemara eingesetzt hatte, nicht schlecht, weshalb er davon ausging, bei der Untersuchung würde es sich um eine reine Formalität handeln. Doch die Diagnose der Ärzte fiel ernster aus, als er erwartet hatte: Die Arthritis in Wirbelsäule, Becken und Knien hatte sich verschlimmert. Er könne sie mit einer strengen Behandlung und viel Schonung lindern, heilbar sei sie jedoch nicht. Auch sei nicht auszuschließen, dass sie sich verschlimmern und zu einer Lähmung führen könne. Das Außenministerium nahm sein Austrittsgesuch an, und er wurde in allen Ehren pensioniert.
Vor seiner Rückkehr nach Irland entschloss er sich zu einem Abstecher nach Paris, um einer Einladung von Herbert und Sarita Ward zu folgen. Es freute ihn, sie wiederzusehen und ein paar Tage in der anheimelnden Atmosphäre der afrikanischen Enklave zu verbringen, zu der sie ihre Pariser Wohnung gemacht hatten. Die Wohnung wirkte wie eine Erweiterung des großen Ateliers, wo Herbert ihm einige seiner neuen Skulpturen zeigte. Es waren kraftvolle Werke aus Holz oder Bronze, des Ergebnis von drei Jahren Arbeit, die im Herbst in Paris ausgestellt werden sollten. Während Herbert sie ihm mit den entsprechenden Skizzen und Modellen erläuterte und Anekdoten dazu erzählte, hatte Roger zahllose Bilder aus ihrer gemeinsamen Zeit unter Stanley und Sanford vor Augen. Ihre Gespräche damals waren so bereichernd gewesen, Herbert hatte ihm von seinen Abenteuern auf der ganzen Welt erzählt, von den skurrilen Menschen, denen er in Australien oder an anderen Orten begegnet war, von den Büchern, die er gelesen hatte. Er war immer noch so scharfsinnig, jovial und optimistisch wie früher. Mit seiner Frau Sarita, einer reichen amerikanischen Erbin, ergänzte er sich vorzüglich, sie war ebenso abenteuerlustig und unkonventionell wie er. Gemeinsam unternahmen sie Wanderungen in Frankreich und Italien. Ihre Kinder hatten sie zu weltoffenen, wissbegierigen Menschen erzogen. Die Jungen gingen inzwischen auf ein Internat in England, verbrachten ihre Ferien aber stets in Paris. Das Mädchen, Cricket , lebte bei ihnen.
Die Wards führten ihn zum Abendessen in das Restaurant im Eiffelturm aus, von dem aus man die Seinebrücken und einige Pariser Stadtteile überblickte, und gingen mit ihm in die Comédie Française, wo Molières Der eingebildete Kranke gespielt wurde.
Doch die Tage, die Roger mit dem Ehepaar verbrachte, verliefen nicht nur harmonisch. Früher waren Herbert und er oft unterschiedlicher Meinung gewesen, ohne dass dies ihre Freundschaft beeinträchtigt hätte, im Gegenteil, die Diskrepanzen hatten
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