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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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seiner nahen und fernen Vergangenheit. Die Schmerzen in Rücken und Hüfte ließen glücklicherweise allmählich nach.
    Die Begegnung mit Tom war mühselig. Roger hatte sich zu dieser Reise in der Hoffnung entschlossen, sie würde eine Annäherung an seinen älteren Bruder begünstigen, eine emotionale Bindung zwischen ihnen schaffen, die tatsächlich nie existiert hatte. Stattdessen musste er feststellen, dass sie einander fremd waren. Abgesehen von ihrer Blutsverwandtschaft hatten sie nichts gemeinsam. All die Jahre hindurch hatten sie sich geschrieben, in erster Linie, wenn Tom und seine erste Frau, die Australierin Blanche Baharry, Geldprobleme hatten und Roger um Hilfe baten. Er hatte sie ihnen nur verweigert, wenn die Beträge, um die Bruder und Schwägerin ihn baten, seine eigenen Mittel überstiegen. Tom hatte in zweiter Ehe die Südafrikanerin Katje Ackerman geheiratet, und zusammenführten sie in Durban eine kleine Pension, die jedoch nicht besonders florierte. Rogers Bruder wirkte älter, als er war, und hatte sich in einen typischen derben, sonnengegerbten Südafrikaner mit zwanglosen, leicht rüden Umgangsformen verwandelt, dessen Englisch inzwischen sogar eher südafrikanisch als irisch gefärbt war. Was in Irland, Großbritannien oder Europa passierte, interessierte ihn nicht. Alle Gespräche mit ihm drehten sich um die finanziellen Probleme, in denen sie steckten. Die erwarteten Touristen blieben aus, und die laufenden Kosten waren um einiges höher als ihre Einnahmen. Sie waren dieses Projekt voller Illusionen angegangen und fürchteten nun, die Pension unter Wert verkaufen zu müssen. Roger fand seine Schwägerin zwar unterhaltsamer und interessanter als seinen Bruder – sie hatte eine künstlerische Ader und Sinn für Humor –, trotzdem bereute er bald, sich auf die lange Reise begeben zu haben.
    Mitte April trat er die Rückfahrt nach London an. Er war mittlerweile wieder wohlgemuter, und das südafrikanische Klima hatte die Arthritisbeschwerden gelindert. So konnte er in aller Ruhe über seine Zukunft im Foreign Office nachdenken. Er musste endlich eine definitive Antwort geben, weitere Freistellungen würde er nicht beantragen können. Entweder ging er als Konsul nach Rio de Janeiro, wie seine Vorgesetzten es von ihm erwarteten, oder er trat aus dem diplomatischen Dienst aus. Die Vorstellung, wieder in Rio zu sein, das ihm trotz seiner Naturschönheit nie gefallen und das er stets als feindselig empfunden hatte, erschien ihm unerträglich. Doch es war nicht nur das. Vor allem wollte er das Dilemma beenden, als Diplomat im Dienst eines Landes zu stehen, das er innerlich verurteilte. Während der Überfahrt nach Großbritannien stellte er Kalkulationen an: Seine Ersparnisse waren gering, doch er konnte noch die Pension hinzurechnen, die er für seine Beamtenjahre erhalten würde, und wenn er ein genügsames Leben führen würde – was ihm nicht schwerfiel –, könnte er zurechtkommen. Bei seiner Ankunft in London stand sein Entschluss fest. Und so begab er sich als Erstes insAußenministerium, um sein Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst bekannt zu geben, das er mit gesundheitlichen Problemen begründete.
    Er blieb nur wenige Tage in London, die mit den Formalitäten beim Foreign Office und den Vorbereitungen für seine Reise nach Irland ausgefüllt waren. Er sah dieser Reise mit Freude entgegen, in die sich indes auch ein wenig Wehmut mischte, als würde er sich für immer von England verabschieden. Er traf sich zweimal mit Alice, wie auch mit seiner Schwester Nina, vor der er Toms schwierige finanzielle Lage in Südafrika verheimlichte, um ihr keine Sorgen zu bereiten. Er versuchte, Edmund D. Morel zu sehen, der seltsamerweise keinen der Briefe beantwortet hatte, die er ihm in den letzten drei Monaten geschrieben hatte. Doch sein alter Freund Bulldog konnte ihn nicht empfangen, führte Reisen und Verpflichtungen an, die ganz offensichtlich Vorwände waren. Was war los mit seinem alten Kampfgenossen, für den er so große Bewunderung und Zuneigung empfand? Warum verhielt er sich ihm gegenüber so kühl? War er durch Klatsch oder Intrigen gegen ihn aufgebracht worden? Einige Zeit später ließ Herbert Ward ihn in Paris wissen, Morel vermeide eine Begegnung mit Roger, weil er von dessen harter Kritik an England und dem Empire erfahren habe und Roger nicht ins Gesicht habe sagen wollen, wie ablehnend er derartigen politischen Einstellungen gegenüberstehe.
    »Du bist ein Extremist

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