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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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aussahen, und bat sie um Feuer. Sie wechselten ein paar Sätze. Sein fehlerhaftes, von portugiesischen Ausdrücken durchsetztes Spanisch amüsierte die beiden. Er schlug ihnen vor, etwas trinken zu gehen, doch einer war bereits verabredet, so dass er mit dem jüngeren, Miguel, zurückblieb, einem beinahe noch Halbwüchsigen mit dunklen Locken. Sie gingen in eine winzige verrauchte Kneipe namens Almirante Colón, wo eine nicht mehr ganz junge Frau von einem Gitarrenspieler begleitet sang. Nach dem zweiten Schluck Wein streckte Roger im Schutze des spärlichen Lichts seine Hand aus und legte sie auf Miguels Oberschenkel. Der nickte lächelnd. Ermutigt ließ Roger seine Hand bis zum Hosenschlitz des Jungen wandern, erspürte sein Glied, und eine Welle des Verlangens überkam ihn. Seit Monaten führte er ein asexuelles Dasein ohne Begehren und Fantasien. ›Wie viele Monate‹, dachte er, ›drei, sechs?‹ Jetzt war ihm, als würden mit der Erregung auch Jugend und Lebenslust wieder durch seine Adern schießen. »Können wir in ein Hotel gehen?«, fragte er Miguel. Der lächelte unbestimmt, machte jedoch keinerlei Anstalten aufzustehen. Stattdessen bestellte er noch ein Glas von demherben Wein, den man ihnen serviert hatte. Als die Sängerin aufhörte, bezahlte Roger, und sie gingen nach draußen. »Sollen wir in ein Hotel gehen?«, fragte er auf der Straße nochmals hoffnungsvoll. Der junge Mann wirkte unentschlossen, vielleicht zögerte er seine Antwort aber auch nur hinaus, um sich bitten zu lassen und eine höhere Entlohnung für seine Dienste auszuhandeln. Während sie noch dort standen, fuhr Roger plötzlich ein stechender Schmerz in der Hüfte, stärker denn je zuvor. Er krümmte sich und stützte sich an einer Fensterbrüstung ab und kauerte sich auf den Boden. Miguel lief erschrocken weg, ohne auch nur zu fragen, was mit Roger los sei, oder sich zu verabschieden. Eine lange Weile saß Roger mit geschlossenen Augen da und wartete, bis der glühende Schmerz in seinem Rücken nachließ. Als er endlich aufstehen konnte, schleppte er sich vier Straßen weit, bis er einen Wagen fand, der ihn zu seinem Hotel brachte. Erst im Morgengrauen ließen die Schmerzen nach, und er fiel in einen unruhigen Schlaf. In seinen Albträumen wandelte er am Rande eines Abgrunds, den er jeden Moment hinabzustürzen drohte, und war dabei einer quälenden Lust ausgesetzt.
    Einige Stunden später nahm er beim Frühstück sein Tagebuch zur Hand und vollzog langsam, in gedrängter Schrift, mehrere Male den Liebesakt mit Miguel, zunächst in einer schattigen Ecke des Santa-Catalina-Parks bei leisem Meeresrauschen, dann in einem muffigen Hotelzimmer, in dem man das Tuten der Schiffshörner hörte. Der dunkelhaarige Miguel ritt auf ihm, machte sich über ihn lustig, »ein alter Mann bist du, jawohl, ein uralter Mann«, und versetzte ihm dann Schläge auf sein Hinterteil, die ihn vor Schmerz oder Seligkeit aufstöhnen ließen.
    Er versuchte sich an keinem sexuellen Abenteuer mehr, nicht während der ihm verbleibenden Zeit auf Gran Canaria und auch nicht anschließend während seiner Reise nach Südafrika, wo er sich mehrere Wochen in Kapstadt und Durban aufhielt und seinen Bruder Tom und seine Schwägerin Katje besuchte. Ihn lähmte die Furcht, er könnte sich durch dieArthritis erneut einer so lächerlichen Situation ausgesetzt sehen wie in Las Palmas. Von Zeit zu Zeit verschaffte er sich selbst Vergnügen, wie so oft in so vielen Ländern, indem er mit hastiger Schrift lapidare Sätze in sein Tagebuch kritzelte, die manchmal ähnlich ordinär waren wie die sporadischen Liebhaber, mit denen er üblicherweise gegen Bezahlung einige Minuten oder Stunden verbracht hatte. Diese Selbsttäuschungen versetzten ihn in einen deprimiert benommenen Zustand, und er überließ sich ihr möglichst selten, denn nichts führte ihm so sehr vor Augen, wie einsam er mit seinem Geheimnis war und bis zu seinem Tod bleiben würde.
    Er hatte das Buch über das alte Irland, das Alice ihm gegeben hatte, so gebannt gelesen, dass er seine Freundin um weitere Lektüre bat. Das Paket mit Büchern und Heften, das Alice ihm darauf schickte, erreichte ihn, kurz bevor er sich am 6. Februar 1913 auf der Grantilly Castle nach Südafrika einschiffte. Die ganze Überfahrt lang las er Tag und Nacht, und auch in Südafrika behielt er diesen Rhythmus bei, so dass er sich trotz der geografischen Entfernung in diesen Wochen Irland wieder sehr nahefühlte, dem gegenwärtigen Irland,

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