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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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bringen könnte – Idealismus, Heldentum, Opferbereitschaft, Großzügigkeit –, aber auch das Schlechteste, Hochmut, Neid und Ressentiment bis hin zur Grausamkeit. Nun konnte er sich davon überzeugen, dass dem tatsächlich so war. Er selbst hatte keinerlei politische Ambitionen, Macht reizte ihn nicht. Das mochte neben seinem Ruf als Verfechter der Menschenrechte in Afrika und Südamerika der Grund dafür sein, weshalb er in der nationalistischen Bewegung keine Feinde hatte. Zumindest nahm er das an, denn von allen Seiten brachte man ihm Respekt entgegen. Und im Herbst 1913 bat man ihn, als politischer Redner in der Öffentlichkeit aufzutreten.
    Ende August war er nach Ulster gereist, wo er seine Kindheit und Jugend verbracht hatte. Er hatte den Auftrag bekommen, die irischen Protestanten untereinander zu vereinen, die den probritischen Extremismus von Edward Carson und seinen Anhängern ablehnten und deren Truppen im Zuge der Kampagne gegen die Home Rule -Regelung in aller Öffentlichkeit übten. Das Komitee Ballymoney, das Roger bei dieser Gelegenheit mitbegründet hatte, hatte zu einer Veranstaltung im Rathaus von Belfast eingeladen. Roger sollte einer der Redner sein, neben Alice Stopford Green, Hauptmann Jack White, Alex Wilson und einem jungen Aktivisten namens Dinsmore. Die erste öffentliche politische Rede seines Lebens hielt Roger damit am regnerischen Abend des 24. Oktober 1913, vor fünfhundert Anwesenden. Aus Nervosität schrieb er die Rede am Vorabend auf und lernte sie auswendig. Erahnte, dass dieser Auftritt einem Schritt gleichkäme, der nicht mehr rückgängig zu machen sein würde. Er würde sein Leben in Zukunft einer Aufgabe widmen, die in gewisser Weise nicht minder gefährlich wäre wie manches, was er in den afrikanischen und südamerikanischen Urwäldern erlebt hatte. Für seine Rede, in der er sich entschieden dagegen aussprach, die Spaltung der Iren sei religiös und politisch zugleich – autonomistische Katholiken gegen unionistische Protestanten –, und in der er zur »Vereinigung der unterschiedlichen Glaubensvorstellungen und Ideale aller Iren« aufrief, erntete er großen Beifall. Nach der Veranstaltung umarmte ihn Alice und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich wage eine Prophezeiung und sage dir eine große politische Zukunft voraus.«
    In den folgenden acht Monaten hatte Roger das Gefühl, nichts anderes mehr zu tun, als Podien zu erklimmen und Ansprachen zu halten. Anfangs las er sie noch ab, im Laufe der Zeit gewöhnte er sich dann an, sie anhand einiger Stichworte zu improvisieren. Er reiste kreuz und quer durch Irland, nahm an öffentlichen Versammlungen und geheimen Treffen, an Debatten und Gesprächsrunden teil, in denen er stundenlang argumentierte und diskutierte, was häufig auf Kosten seines Schlafes und regelmäßiger Mahlzeiten ging. So kompromisslos in der politischen Arbeit aufzugehen begeisterte ihn, doch mitunter löste es auch tiefe Niedergeschlagenheit in ihm aus. Zudem quälten ihn wieder die Schmerzen in Rücken und Hüfte.
    Ende 1913, Anfang 1914 stieg die politische Spannung in Irland weiter. Die Differenzen zwischen den Unionisten von Ulster und den Befürwortern der Unabhängigkeit spitzten sich so zu, dass ein Bürgerkrieg unmittelbar bevorzustehen schien. Im November 1913 wurde als Reaktion auf die Gründung der Ulster Volunteers von Edward Carson die Irish Citizen Army , die Irische Bürgerarmee, gegründet, in erster Linie auf Betreiben des Gewerkschafters und Arbeiterführers James Connolly. Die Bürgerarmee verstand sich als eine Miliz, deren vorrangiges Ziel darin bestand, die Arbeiter vor denÜbergriffen durch Arbeitgeber und Obrigkeit zu schützen. Ihr erster Kommandant, Hauptmann Jack White, hatte sich in der britischen Armee verdient gemacht, ehe er sich zum irischen Nationalismus bekannt hatte. Bei der Gründungszeremonie wurde ein von Eoin MacNeill, Patrick Pearse und Roger verfasstes Manifest verlesen; Roger selbst war zuvor von seinen politischen Mitstreitern nach London entsandt worden, um finanzielle Mittel für die nationalistische Bewegung zu beschaffen.
    Beinahe zeitgleich mit der Irish Citizen Army wurden auf Initiative von Eoin MacNeill und unter Rogers Mitwirkung die Irish Volunteers gegründet. Die Organisation zählte vom ersten Moment an auf die Unterstützung der Untergrundorganisation Irish Republican Brotherhood , die Irlands Unabhängigkeit forderte. Ihr Hauptquartier war ein Tabakladen, in dem Tom Clarke, eine legendäre Figur in

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