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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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sie häufig noch belebt. Das war diesmal anders.Eines Abends diskutierten sie so heftig, dass Sarita eingreifen und sie bitten musste, das Thema zu wechseln. Herbert war Rogers Nationalismus in der Regel gelassen und sogar ein wenig amüsiert begegnet. Doch an diesem Abend beschuldigte er seinen Freund, sich zu sehr für die nationalistischen Ideen zu begeistern, dabei zu wenig rational, beinahe schon fanatisch zu sein.
    »Wenn die Mehrheit der Iren Großbritannien loswerden will, schön und gut«, sagte er. »Aber ich persönlich glaube nicht, dass Irland viel damit gewinnt, eine Flagge, ein Wappen und einen Präsidenten zu haben. Noch dass seine wirtschaftlichen und sozialen Probleme dadurch gelöst werden. Meines Erachtens wäre es besser, man würde auf den Autonomievorschlag von John Redmond und seinen Anhängern eingehen. Die sind doch auch Iren, oder nicht? Und sie stellen eine große Mehrheit gegenüber denen dar, die wie du eine Abspaltung wollen. Wie auch immer, das alles beschäftigt mich, ehrlich gesagt, nicht besonders. Wohl aber zu sehen, wie intolerant du geworden bist. Früher hast du argumentiert, Roger. Jetzt gibst du nur noch Hassparolen gegen ein Land von dir, dass auch deines ist, das deiner Väter und Geschwister. Ein Land, für das du all die Jahre so verdienstvolle Arbeit geleistet hast. Anerkannterweise, nicht wahr? Du wurdest geadelt, man hat dir die höchsten Auszeichnungen des Königreiches verliehen. Bedeutet dir das gar nichts?«
    »Soll ich mich zum Dank zum Kolonialismus bekehren?«, entgegnete Roger. »Soll ich für Irland akzeptieren, was wir beide für den Kongo ablehnen?«
    »Irland kann man nicht mit dem Kongo vergleichen. Oder schneiden die Engländer in Connemara den Einheimischen vielleicht die Hände ab und zerschinden ihnen die Rücken mit der Chicotte ?«
    »Die Kolonisierungsmethoden in Europa sind nur raffinierter, Herbert, dafür aber nicht weniger grausam.«
    In den letzten Tagen seines Aufenthalts in Paris vermied es Roger, das Gespräch auf Irland zu bringen. Er wollte seineFreundschaft mit Herbert nicht aufs Spiel setzen. Bedrückt sagte er sich, dass sein zunehmender politischer Aktivismus ihn in Zukunft sicherlich immer weiter von Herbert entfernen, womöglich ihre Freundschaft zerstören würde, eine der engsten seines ganzen Lebens. Bin ich wirklich dabei, zu einem Fanatiker zu werden?, fragte er sich von da an bisweilen erschrocken.
    Als er gegen Ende des Sommers nach Dublin zurückkehrte, konnte er sein Studium des Gälischen nicht mehr aufnehmen. Die politische Situation hatte sich zugespitzt, und sogleich wurde er tätig. Das von John Redmonds Irish Parliamentary Party befürwortete Home Rule -Projekt, das Irland ein Parlament und weitgehende Freiheiten in Verwaltung und Wirtschaft zugestanden hätte, war im November 1912 vom Unterhaus abgesegnet worden. Doch das Oberhaus hatte es zwei Monate später abgelehnt. Im Januar 1913 wurde in Ulster, Bastion der Unionisten mit einer englandtreuen, protestantischen Mehrheit, von Edward Henry Carson eine vehemente Kampagne gegen den Autonomieentwurf geführt. Die Ulster Volunteer Force wurde gegründet, eine politische Gruppierung und gleichzeitig eine Streitkraft von über vierzigtausend Freiwilligen, mit der die Home Rule -Regelung im Falle ihrer Ratifizierung bekämpft werden sollte. Die Irish Parliamentary Party von John Redmond setzte sich unterdessen weiter für die Autonomie ein. Nachdem auch die zweite Gesetzesvorlage vom Unterhaus angenommen und vom Oberhaus abgelehnt worden war, stimmte am 23. September das Ulster Unionist Council dafür, sich selbst zur provisorischen Regierung Ulsters zu erklären und vom restlichen Irland abzuspalten, sollte das Autonomieprojekt verabschiedet werden.
    In einigen Artikeln für die nationalistische Presse, die Roger inzwischen unter seinem richtigen Namen verfasste, kritisierte er die Unionisten von Ulster. Er beschuldigte die dortige protestantische Mehrheit, die katholische Minderheit zu diskriminieren. Katholische Fabrikarbeiter würden aus politischen Gründen entlassen, den Verwaltungen der katholischenStadtteile würden Gelder und Zuschüsse gekürzt. »Sehe ich, was in Ulster geschieht«, schrieb er in einem Artikel, »fühle ich mich nicht mehr als Protestant.« Stets drückte er sein Bedauern darüber aus, dass die Haltung der Unionisten die Iren in zwei feindliche Lager gespalten hätte, was einmal tragische Konsequenzen haben werde. In einem anderen Artikel

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