Der Traum des Kelten
all den Schwierigkeiten und Rückschlägen zumindest nach außen hin nicht in seiner Überzeugung beirren, dass die von Roger konzipierte Irische Brigade Wirklichkeit werden und ein Großteil der irischen Gefangenen ihr beitreten würde, und voller Tatendrang leitete er das Training der fünfzig Freiwilligen auf einem kleinen Gelände in Zossen bei Berlin, das die deutsche Regierung ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Und es gelang ihm in der Tat, einige weitere Männer zu rekrutieren. Alle trugen sie die von Roger entworfene Uniform, Monteith selbst eingeschlossen. Sie schliefen in Armeezelten, unternahmen Märsche, hielten Manöver ab und Schießübungen mit Gewehr und Pistole, wobei die Munition aus Platzpatronen bestand. Es wurde strikt auf Einhaltung der Disziplin geachtet, Monteith regte allerdings an, die militärische Ausbildung und das Ausdauertraining durch regelmäßige Vorträge Rogers zu ergänzen, die den Brigadiers die irische Geschichte und Kultur vermitteln und die Perspektiven eines künftigen unabhängigen Éires aufzeigen sollten.
Wie hätte Hauptmann Monteith reagiert, hätte er jene ehemaligen irischen Gefangenen – die im Zuge eines Gefangenenaustausches freigekommen waren – während des Prozesses als Zeugen der Anklage auftreten sehen, und unter ihnen niemand Geringeren als Feldwebel Daniel Bailey? Alle sagten sie unter Eid aus, Roger Casement habe sie in Anwesenheit von deutschen Offizieren aufgefordert, in die feindlichen Ränge überzuwechseln, und sie zu ködern versucht, indem er ihnen Freiheit, Lohn und Bauernhöfe versprach. Und alle hatten die infame Lüge bestätigt, die irischen Gefangenen, die seinem Drängen nachgaben und der Brigade beitraten, wären sofort in den Genuss besserer Haftbedingungen gekommen. Hauptmann Monteith hätte sich nicht über sie empört. Er hätte einmal mehr gesagt, dass seine Landsleute unwissend und blind seien, verblendet durch die über dreihundertjährige Propaganda des Empire. Man dürfe nicht verzweifeln, all das sei imBegriff, sich zu ändern. Und vielleicht würde er Roger, wie so oft in Limburg und Berlin, zur Aufmunterung erzählen, mit welcher Begeisterung die jungen irischen Bauern, Arbeiter, Fischer, Handwerker und Studenten den Reihen der Irish Volunteers beigetreten waren, nachdem die Organisation am 25. November 1913 im Rahmen einer Großversammlung im Rotunda in Dublin gegründet worden war, als Reaktion auf die Militarisierung der von Sir Edward Carson angeführten Unionisten von Ulster, die offen damit drohten, das Gesetz zu missachten, sollte das britische Parlament die Home Rule- Regelung und damit die irische Selbstverwaltung absegnen. Hauptmann Monteith, ehemaliger Offizier der britischen Armee, in der er in Südafrika im Burenkrieg gekämpft und bei zwei Schlachten verletzt worden war, hatte zu den ersten Freiwilligen der Volunteers gezählt. Ihm war die militärische Ausbildung der Rekruten angetragen worden. Roger, der an jener historischen Versammlung im Rotunda teilgenommen hatte und von den Anführern der Volunteers, als Zeichen ihres Vertrauens, zu einem der Schatzmeister der zum Waffenkauf bestimmten Fonds ernannt worden war, konnte sich nicht erinnern, Monteith dort begegnet zu sein. Doch Monteith versicherte, ihm damals die Hand geschüttelt und ihm gesagt zu haben, wie stolz er sei, dass ausgerechnet ein Ire vor der Welt die Verbrechen angeklagt habe, die gegen die Eingeborenen im Kongo und im Amazonasgebiet verübt würden.
Er erinnerte sich an die langen Fußmärsche mit Monteith, in der Umgebung des Gefangenenlagers von Limburg oder durch die Straßen von Berlin, im fahlkalten Morgengrauen oder in der anbrechenden Dämmerung. Unblässig hatten sie dabei über Irland gesprochen. Trotz der Freundschaft, die zwischen ihnen entstand, verhielt Monteith sich nie ganz ungezwungen. Der Hauptmann behandelte Roger stets wie einen militärischen Vorgesetzten, ließ ihm Vortritt, hielt ihm die Tür auf, rückte ihm den Stuhl heran, knallte beim Händeschütteln die Fersen zusammen und legte die rechte Hand an die Mütze.
Hauptmann Monteith hatte über Tom Clarke, den geheimnisvollen Anführer der Irish Revolutionary Brotherhood und der Volunteers , von Rogers Versuch erfahren, eine Irische Brigade in Deutschland zu bilden, und hatte sich sofort erboten, mit ihm zusammenzuarbeiten. Monteith hielt sich damals in Limerick auf, von der britischen Armee strafversetzt, weil man herausgefunden hatte, dass er heimlich die Volunteers
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