Der Traum des Kelten
für Rogers Nationalismus gezeigt, auch wenn er ihn in seinen Briefen oft vor den Gefahren des »patriotischen Fanatismus« gewarnt und Dr. Johnson zitiert hatte, für den der »Patriotismus die letzte Zuflucht einer Kanaille«war. Ihre Ansichten zu Deutschland waren hingegen unversöhnlich. Herbert hatte stets energisch Rogers positives – und wie er fand idealisierendes – Bild von Reichskanzler Bismarck und der Reichsgründung kritisiert. Herbert erschien der preußische Geist autoritär, fantasielos und plump, Kasernen und Hierarchien mehr zugetan als Demokratie und Kunst. Als er mitten im Krieg durch Enthüllungen in englischen Zeitungen erfuhr, dass Roger sich nach Berlin begeben und mit dem Feind verschworen hatte, ließ er ihm durch seine Schwester Nina einen Brief übermitteln, in dem er ihre jahrelange Freundschaft für beendet erklärte. In demselben Brief teilte er Roger mit, dass sein gerade neunzehnjähriger Sohn an der Front gefallen war.
Wie viele Freunde hatte er noch verloren, Menschen, die ihn wie Herbert und Sarita Ward geachtet und bewundert hatten und nun für einen Verräter hielten? Sogar Alice Stopford Green hatte sich gegen seine Reise nach Berlin ausgesprochen, die sie seit seiner Verhaftung allerdings mit keinem Wort mehr erwähnte. Wie viele Menschen waren durch die Diffamierungen der englischen Presse dazu gebracht worden, ihn zu verabscheuen? Sein Magen krampfte sich zusammen, er wand sich vor Schmerzen auf der Pritsche. Eine ganze Weile blieb er so liegen, bis das Gefühl, ein Stein zermalme seine Eingeweide, langsam nachließ.
Während der achtzehn Monate in Deutschland hatte er sich oft gefragt, ob er richtig gehandelt hatte. Er war in seinem Vorhaben ja bestätigt worden, als die deutsche Regierung jene – größtenteils von ihm selbst verfasste – Erklärung veröffentlichte, in der sie Solidarität mit dem irischen Unabhängigkeitsstreben bekundete und die Bereitschaft äußerte, den Iren zu helfen, ihre Freiheit wiederzuerlangen. Doch die langen Stunden des Wartens, wenn er in den Ministerien Unter den Linden vorsprechen wollte, die leeren Versprechungen seitens der Deutschen, seine schlechte Gesundheit und der gescheiterte Versuch, eine Irische Brigade zusammenzustellen, hatten wieder alles in Frage gestellt.
Sein Herz pochte heftig wie jedes Mal, wenn er an die eisigen Tage und Schneestürme im Lager von Limburg zurückdachte, als er nach zahllosen Anträgen endlich die Erlaubnis erhielt, vor den zweitausendzweihundert irischen Gefangenen zu sprechen. In bedachten Worten, die er sich monatelang zurechtgelegt hatte, erklärte er den Iren, dass es sich in keiner Weise darum handele, »zum Feind überzulaufen«. Die Irische Brigade würde nicht zum deutschen Heer gehören, sondern ein unabhängiges Militärkorps mit eigenen Offizieren bilden, das gegen seinen Kolonialherrn und Unterdrücker und für die Unabhängigkeit Irlands kämpfen würde, »gemeinsam mit, aber nicht als Teil« der deutschen Armee. Was ihn am schwersten zusetzte, war nicht die Tatsache, dass von den zweitausendzweihundert Gefangenen nur knapp fünfzig der Brigade beitraten, sondern die Feindseligkeit, die seine Rede provoziert hatte, nach der er als »Verräter«, »Judas«, »Überläufer« oder »Kakerlake« beschimpft wurde. Als er ein drittes Mal vor ihnen sprechen wollte, wurde er nach wenigen Sätzen von Pfiffen und Beschimpfungen übertönt, angespuckt und beinahe tätlich angegriffen. Wie erniedrigend war es gewesen, von dem Begleitkorps deutscher Soldaten im Laufschritt fortgebracht zu werden, um einer möglichen Lynchung durch die Iren zuvorzukommen.
Er war ein naiver Träumer gewesen, anzunehmen, die irischen Gefangenen würden dieser Brigade beitreten, die vom deutschen Heer ausgestattet, eingekleidet – Roger selbst hatte die Uniformen entworfen –, versorgt und beraten werden würde, jenem deutschen Heer, gegen das sie vor kurzem noch gekämpft hatten, das sie in den belgischen Schützengräben eingegast, das so viele irische Kameraden verletzt, verstümmelt und getötet und sie jetzt in dieses stacheldrahtumzäunte Lager gesperrt hatte. Man konnte die irischen Gefangenen natürlich verstehen. Dennoch empfand Roger diese Konfrontation als brutal. Unmittelbar danach bekam er so hohes Fieber, dass die Ärzte ihn beinahe schon aufgegeben hätten.
In diesen Monaten waren die Loyalität und HilfsbereitschaftRobert Monteiths ein lebensnotwendiger Balsam gewesen. Der Hauptmann ließ sich von
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