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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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geben. Dann kann ich frei ein und aus gehen in einer Stadt, die mir gehört und das Beste beider Welten vereint. Wenn es immerzu dunkel ist, brauchen wir nicht einmal Blut. Wenn zwischendurch jemandem nach Licht ist, kein Problem. Ich bin sicher, die Touristen werden nach wie vor herkommen, um sich die dunkle Stadt anzusehen. Sie werden uns mit Nachschub versorgen und uns ermöglichen, überallhin zu gehen. Es wird ein Leben, wie wir es uns derzeit kaum vorstellen können.« Er beugte sich vor und küsste sie auf die Stirn.
    » Das hört sich… gut an.«
    » Ganz überzeugt klingst du nicht.«
    » Es sprengt jegliche Vorstellungskraft. Jedenfalls meine.« Mit den Fingerspitzen betastete sie die Kraterlandschaft seines Gesichts. Er weiß, dass er verloren ist … Aber so lange jemand geliebt wurde, war er nicht verloren, oder?
    » Was, wenn unsere Welten von Anfang an dazu bestimmt waren, eins zu sein?« Kunun öffnete die Hand und schloss sie wieder, als hätte er einen Schmetterling gefangen oder ein Geheimnis. » Diese Welt und jene… Ist es nicht fantastisch, wenn sich das Beste von beiden vereint, wenn die Grenzen verschwimmen? Wie kann ich das bedauern? Orte, die in den Schatten versinken, die zu Orten aus Legenden und Träumen werden, wie ein blinder Fleck im Auge. Die Menschen werden hinsehen und nichts erkennen können, nur am Rande ihrer Wahrnehmung wird etwas sein, etwas Verschwommenes, eine Welt der Träume. Die Wölfe werden in den Wäldern heulen. Wir werden Schatten sein, wir alle. Eine Stadt im Dunkeln, nur für uns. Ich habe mich auf eine lange Zeit in meiner finsteren Burg eingestellt, heimgesucht von tödlicher Langeweile. Aber jetzt, da der Fluss erloschen ist, wenn es kein Licht mehr gibt, werden sich die Grenzen von Licht und Schatten immer schneller auflösen. Diese Schlacht wird anders geschlagen als alle Schlachten zuvor. Wir müssen nur dafür sorgen, dass die Dunkelheit sich ausbreitet und dass niemand uns in die Quere gerät. Und während Mattim immer noch kämpft, habe ich längst gewonnen.«

Dritter Teil
    Stadt der Träume

25
    BUDAPEST, UNGARN
    » So, wo müssen wir als Erstes hin?«, fragte Mirita. » Ich staune, wie schnell du das herausgefunden hast.«
    » Ich kenne mich in dieser Welt schon recht gut aus.« Es gab keinen Grund, ihr zu verraten, dass die Liste mit den Adressen Bartóks Verdienst war. » Die Stadt ist mir mittlerweile fast so gut vertraut wie Akink.« Manchmal wunderte er sich selbst, mit welcher Selbstverständlichkeit er sich in Budapest bewegte, als wäre dies seine eigene Stadt und genauso ein Teil seiner selbst wie seine Heimat. Er hatte gedacht, es läge an Hanna, doch obwohl er seine Geliebte verloren hatte, war die Stadt immer noch da. Ihr Leben umgab ihn wie ein Rauschen, wie der Fluss, der um ihn herumströmte und fremdes Leben an ihm vorübergleiten ließ. Der dichte Verkehr, die Hitze, die wie eine Glocke über allem lag, der Staub und die grauen Häuser – alles vertraut, alles seins.
    » Lass uns keine Zeit verlieren.« Die Zeit saß ihm im Nacken, denn die Dunkelheit wurde immer dichter, immer stofflicher, und es gab noch schrecklich viel zu tun. » Wir werden bestimmt an vielen Türen vergeblich klingeln. Ach, und du solltest vorher noch Blut trinken. Die Dunstglocke schützt dich zwar, aber womöglich müssen wir in die Randgebiete der Stadt, wo es heller ist.«
    Manchmal vergaß er zu essen, die Bedürfnisse eines Schattens dagegen waren nicht so leicht zu ignorieren.
    » Hier ist aber niemand. Wen soll ich denn beißen?«
    » Läute einfach an einer der Türen«, schlug er vor. » Hier im Haus leben genug Leute. Nimm nur nicht die Wohnung über dieser, darin wohnen Freunde von Mónika.« Mit der kratzbürstigen Mária wollte er sich lieber nicht anlegen, und die alte Magdolna würde keinen Blutverlust verkraften.
    Mirita starrte ihn verblüfft an. Vielleicht wunderte sie sich über die Kaltblütigkeit, mit der er diesen Vorschlag machte.
    » Findest du, das sollte ich tun? Hier im Haus?«
    » Zier dich nicht so, wir müssen los.« Das Schicksal der Nachbarn bekümmerte ihn nicht übermäßig, denn wenn es ihm nicht gelang, das Licht zurückzubringen, blühte ihnen viel Schlimmeres– ein Leben in Schmerz und Dunkelheit.
    Mattim wartete im Flur, denn er legte keinen Wert darauf, mit anzusehen, wie Mirita jemanden biss. In ihren Augen glühte etwas Fremdes, als sie schließlich gemeinsam auf die Straße traten, und er fragte sich, ob er auch so

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