Der Traum des Teufels
Kartoffeln hochhob, wurde der schlanke Mann in die Höhe gerissen und fortgetragen. Klauenhafte Hände hatten sich um seine Hüften geschlungen und pressten blutige Abdrücke auf seine bleiche Haut. Shanes wilde, empörte Rufe verhallten in der Nacht. Ein dumpfer Schlag auf seinen Kopf ließ ihn kurzfristig verstummen.
Als er wieder zu sich kam, fand er sich angebunden in silbernen Ketten auf einem Klinikbett, wie man es für Selbstmordkandidaten präpariert hatte. Er konnte sich kaum noch bewegen.
"Verfluchter Aasgeier!" brach es aus seinen Mund hervor, als er die Züge des damaligen KZ-Arztes über sich gebeugt erkannte. Dieser lächelte nur süßsauer. "Sie werden mir noch dankbar sein. Bitte halten Sie still, dann wird es weniger schmerzhaft für Sie sein. Ich werde Sie einige Stunden beobachten, dann können Sie gehen."
Sollte er sich verhört haben? Das konnte doch nur eine Lüge sein. Oder wollte dieser Irre ihn wirklich laufen lassen? So gut wie möglich versuchte Shane, sich seine Umgebung im Halbdunkeln einzuprägen. Doch das überwiegend kahle Zimmer ergab nicht viele Anhaltspunkte. Die Fenster waren mit löchrigen braunen Gardinen verhängt, hinter denen die erleuchteten Fenster anderer Häuser einzelne gelbe Punkte bildeten. Der Form nach musste es sich um ein Hochhausviertel handeln.
Jetzt wurde eine Nadel in seine Armvene gepresst und ein stundenlanges Martyrium begann, das sich Mengele erneut wissbegierig notierte.
* * *
Jason Dawn schreckte mitten in der Nacht aus seinem unruhigen Schlaf hoch. Ein Albtraum hatte ihm schwer zu schaffen gemacht, und Schweißperlen liefen seine Stirn und seinen Nacken hinunter. Alles war so real gewesen. Er krampfte sich vor Schmerz zusammen und ihm wurde schwindlig. Was, zum Teufel, hatte das zu bedeuten? Mühsam erkämpfte er sich einen Weg aus den verschwitzten Laken und wankte hinaus in den dunklen Flur. Unter der Türe von Leanders Zimmer drang ein Lichtschein hervor, und er steuerte wie ein Betrunkener darauf zu. Atemnot ergriff ihn und panisch riss er wie ein Fisch auf dem Trockenen den Mund auf. Sein Körper fiel gegen die Tür und ihm wurde schwarz vor Augen.
Leander fuhr bei dem dumpfen Geräusch im Flur erschrocken hoch und lief zur Tür. Jason lag leichenblass davor und atmete kaum noch. Es dauerte etwas, bis er in die Gedanken des Jungen vorgedrungen war und dann ... riss er ihm das T-Shirt vom Körper. Langsam kam Jason wieder zu Bewusstsein. Inzwischen trommelte der Halbengel die Hybriden und Stuart zusammen. Letzterer erschrak, als er Jason so hilflos nach Luft schnappend auf dem Boden liegen sah. Schließlich war dieser jetzt Sterbliche sein Erschaffer, und er empfand immer noch eine tiefe Zuneigung zu ihm. Mit einem undefinierbaren Ausdruck glitten seine grünen Augen über die unbehaarte Brust des schlanken Mannes bis hinunter zu dessen Boxershorts.
"Was soll das hier?", fragte Miles verwundert und gleichzeitig besorgt.
"Jason hat einen hellseherischen Traum gehabt. Es muss mit Shane zu tun haben. Er trägt eines seiner T-Shirts. Alles, was ich weiß, ist, dass er unsagbare Schmerzen leidet", gab der Halbengel zur Auskunft und half Jason, sich aufzurichten. Weston reichte ihm ein Glas Wasser, das er dankend annahm.
"Er hat es mir geliehen, weil meine Klamotten in der Wäsche sind. Shane ist gefesselt", krächzte Jason mit belegter Stimme zwischen zwei Schlucken Wasser. "Aber er ist nicht direkt in Gefahr. Ich habe nicht gesehen, dass er mit dem Tode bedroht wurde."
"Witzbold, deshalb geht es dir ja auch gerade so blendend", spottete Miles.
"Hast du sehen können, wo er sich befindet?"
"Nicht wirklich. Eine Menge kleiner Lichter durch schmutzigen Stoff. Ein Zimmer, eine Art Bett. Hohe Häuser. Kein Straßenlärm", war die knappe Antwort. Die Verbindung zwischen Jason, dem Seher, und Shane, dem Hybridenvampir, ließ nach.
"Das kann überall sein", murmelte Weston enttäuscht.
Leander schüttelte nachdenklich den Kopf. "Es muss eine Gegend sein, wo sich niemand um den anderen kümmert."
Stuart grinste. "Da gibt es in Berlin bestimmt einige Viertel." Der junge Fürst hatte nicht unbedingt Mitleid mit Shane. Diese Emotion kannten Vampire nicht. Aber er wusste, dass Shane ihn nicht mochte. Oft genug wurde er von ihm aufgezogen. Geschah dem Großmaul ganz recht, dass er jetzt in der Klemme saß. Leanders missachtender Blick begegnete seinen Augen, und er senkte die Lider.
"Jason, du bleibst hier, falls Shane zurückkehrt,
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