Der Traum des Wolfs
Insektenschwarm über Tar Valon geschlossen. Der Besuch des Sonnenlichts war willkommen, aber nur kurz gewesen.
Der Tee schmeckte wieder schal. Die entdeckten Kornlager leerten sich, und die neuen importierten Säcke waren voller Getreidekäfer. Das Land ist eins mit dem Drachen.
Sie atmete ein, roch die frische Luft und schaute auf Tar Valon. Ihr Tar Valon.
Saerin, Yukiri und Seaine - drei der Schwestern, die als Erste mit der Jagd auf die Schwarzen Ajah in der Burg begonnen hatten - warteten geduldig hinter ihr. Nun gehörten sie zu ihren glühendsten Anhängern, und zu den nützlichsten. Jedermann ging davon aus, dass sie die Frauen bevorzugte, die sich Elaida entgegengestellt hatten, darum war es hilfreich, dabei gesehen zu werden, wie sie Zeit mit Aes Sedai verbrachte, die in der Weißen Burg geblieben waren.
»Was habt ihr entdeckt?«, fragte sie.
Saerin schüttelte den Kopf und gesellte sich zu Egwene an die Brüstung. Die Narbe auf ihrer Wange und die weißen Haare an den Schläfen ließen die Braune mit der olivfarbenen Haut und dem kantigen Gesicht wie ein alternder General aussehen. »Manche der von Euch gewünschten Informationen waren selbst vor dreitausend Jahren unsicher, Mutter.«
»Was auch immer Ihr mir sagen könnt, Tochter, wird helfen«, erwiderte Egwene. »Solange wir uns nicht völlig auf die Fakten verlassen, ist unvollständiges Wissen besser als völliges Unwissen.«
Saerin schnaubte leise, erkannte aber offensichtlich das Zitat von Yasicca Cellach, einer Braunen Gelehrten der Vergangenheit.
»Und Ihr beide?«, wandte sich Egwene an Yukiri und Seaine.
»Wir suchen noch«, sagte Yukiri. »Seaine hat eine Liste mit Möglichkeiten. Einige davon erscheinen sogar vernünftig.«
Egwene runzelte die Stirn. Eine Weiße nach Theorien zu fragen war immer interessant, aber nicht immer unbedingt nützlich. Sie neigten dazu, das Plausible zu ignorieren, und konzentrierten sich auf die abstrakteren Möglichkeiten.
»Dann wollen wir damit anfangen«, sagte sie. »Seaine?«
»Nun, ich will mit der Bemerkung beginnen, dass eine der Verlorenen zweifellos über ein Wissen verfügt, das wir uns nicht einmal vorstellen können. Also lässt sich nicht feststellen, wie sie den Eidstab überwand. Zum Beispiel könnte die Möglichkeit bestehen, ihn für kurze Zeit außer Kraft zu setzen, vielleicht gibt es auch besondere Worte, mit denen man seiner Wirkung entgeht. Der Stab ist ein Gegenstand aus dem Zeitalter der Legenden, und auch wenn wir ihn seit Jahrtausenden benutzen, haben wir ihn noch nie richtig verstanden. Was ja auch bei den meisten Ter’angrealen der Fall ist.«
»Gut«, sagte Egwene.
»Aber wenn man das bedenkt, habe ich drei Theorien, wie man den Eid auf den Stab unbrauchbar machen kann«, fuhr Seaine fort und zog ein Blatt Papier hervor. »Möglicherweise besitzt die Frau einen weiteren Eidstab. Angeblich hat es früher noch andere gegeben, und es ist plausibel, dass ein Stab einen von den Eiden befreit, die man mit einem anderen abgelegt hat. Mesaana könnte einen besitzen. Sie könnte die Drei Eide abgelegt haben, während sie unseren Stab hält, und diese Eide dann irgendwie mit dem anderen außer Kraft setzen, bevor sie schwor, keine Schattenfreundin zu sein.«
»Das ist aber wenig einleuchtend«, sagte Egwene. »Wie hätte sie sich davon befreien sollen, ohne dass wir es bemerken? Dazu muss man Geist lenken.«
»Das zog ich in Betracht«, erwiderte Seaine.
»Das überrascht mich nicht«, sagte Yukiri.
Seaine warf ihr einen Blick zu, machte dann aber weiter. »Aus diesem Grund würde Mesaana einen zweiten Eidstab brauchen. Sie hätte Geist darin hineinlenken, das Gewebe umdrehen und so damit verbunden bleiben können.«
»Das erscheint unwahrscheinlich«, meinte Egwene.
»Unwahrscheinlich?«, sagte Saerin. »Eher lächerlich. Hattet Ihr nicht behauptet, ein paar dieser Theorien wären plausibel, Yukiri?«
»Das ist die am wenigsten wahrscheinliche der drei Möglichkeiten«, sagte Seaine. »Die zweite Methode wäre leichter. Mesaana könnte jemanden geschickt haben, der ihr ähnlich sieht und den Spiegel des Nebels trägt. Eine erbarmungswürdige Schwester, die einem schweren Zwang unterliegt - oder eine Novizin oder auch eine nicht ausgebildete Frau, die die Macht lenken kann. Diese Frau könnte dazu gezwungen gewesen sein, anstelle von Mesaana die Eide abzulegen. Da diese Person keine Schattenfreundin sein würde, würde sie wahrheitsgemäß sagen, dass sie es nicht
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