Der Traum des Wolfs
der ganzen Gegend aufgenommen, die kurz vor dem Verhungern gestanden und sie angefleht hatten, sich ihnen anschließen zu dürfen.
Diener brachten Körbe voller geschälter Kartoffeln zu Kochtöpfen, die von jungen Frauen mit Wasser aus dem Fluss gefüllt wurden. Kochgehilfen bereiteten Holzkohle für die Kochfeuer vor, und ältere Köche mischten Gewürze in Saucen, die man über andere Speisen kippen würde, was wirklich die einzige Möglichkeit war, um solch gewaltigen Mengen an Essen Geschmack zu verleihen.
Ältere Frauen, von denen es im Lager nur wenige gab, schlurften mit gekrümmten Rücken und leichten Weidenkörben voller Kräuter auf den dünnen Armen vorbei; ihre Schultertücher wehten, während sie sich mit brüchigen Stimmen unterhielten. Soldaten eilten umher mit frisch erlegtem Wild. Jungen zwischen Kindheit und Mannbarkeit sammelten Feuerholz; Faile passierte eine kleine Gruppe von ihnen, die sich durch Spinnenfangen hatten ablenken lassen.
Es war ein Orkan aus Ordnung und Verwirrung, beides zugleich, zwei Seiten einer Münze. Seltsam, wie gut sie hierher passte. Wenn sie ein paar Jahre in die Vergangenheit blickte, erstaunte es sie, ein verwöhntes, egozentrisches Kind zu sehen. Die Grenzlande zu verlassen, um eine Jägerin das Horns zu werden? Sie hatte ihre Pflichten, ihr Zuhause und ihre Familie im Stich gelassen. Was hatte sie sich dabei nur gedacht?
Sie kam an ein paar Frauen vorbei, die Korn mahlten, dann ging sie um einen Haufen wilder Schalotten, die auf einer Decke daneben lagen und darauf warteten, zu Suppe gemacht zu werden. Sie war froh, dass sie gegangen war und Perrin kennengelernt hatte, aber das entschuldigte ihre Handlungen nicht. Mit einer Grimasse erinnerte sie sich daran, wie sie Perrin gezwungen hatte, in der Dunkelheit durch die Kurzen Wege zu reisen, allein. Sie wusste nicht einmal mehr, was er getan hatte, um sie in Wut zu bringen, obwohl sie das ihm gegenüber niemals zugeben würde.
Ihre Mutter hatte sie einmal als verwöhnt bezeichnet, und sie hatte recht gehabt. Ihre Mutter hatte auch darauf bestanden, dass sie lernte, wie man ihre Güter bewirtschaftete, und die ganze Zeit hatte sie bloß davon geträumt, einen Jäger des Horns zu heiraten und ihr Leben weit weg von den Heeren und den langweiligen Pflichten der Adligen zu verbringen.
Das Licht segne dich, Mutter, dachte sie. Was hätten sie und Perrin nur ohne diese Ausbildung gemacht? Ohne die Lektionen ihrer Mutter wäre sie völlig nutzlos gewesen. Die Verwaltung des ganzen Lagers hätte allein auf Aravines Schultern gelastet. So fähig die Frau als Perrins Lagerverwalterin auch war, allein hätte sie das alles nicht geschafft. Und man hätte das auch nicht von ihr erwartet.
Faile erreichte den Posten des Quartiermeisters, einen kleinen Pavillon in der genauen Mitte der Kochfeuer. Der Wind trug die verschiedensten Gerüche heran: von Flammen verbranntes Fett, kochende Kartoffeln, mit Knoblauch gewürzte Saucen, der feuchte, klebrige Geruch von Kartoffelschalen, die man an die kleine Schweineherde verfütterte, die sie aus Maiden hatten mitnehmen können.
Der Quartiermeister, Bavin Rockshaw, war ein blasser Cairhiener mit ergrauendem braunen Haar, das von ein paar blonden Strähnen durchzogen wurde; es sah aus wie das Fell eines Mischlings. Arme, Beine und Brust waren spindeldürr, dafür hatte er einen fast perfekten Schmerbauch. Anscheinend hatte er schon im Aiel-Krieg als Quartiermeister gearbeitet und war ein Experte - er konnte Proviantzuteilungen so geschickt verwalten, wie ein Meistertischler sein Holz bearbeiten konnte.
Das bedeutete natürlich auch, dass er Experte darin war, Bestechungsgelder anzunehmen. Als er Faile sah, lächelte er und verbeugte sich steif genug, um formell zu sein, ohne es zu übertreiben. ›Ich bin ein einfacher Soldat, der seine Pflicht tut‹, besagte die Verbeugung.
»Lady Faile!«, rief er aus und winkte ein paar seiner Knechte herbei. »Ich nehme an, Ihr seid gekommen, um die Bücher zu überprüfen?«
»Ja, Bavin«, sagte sie, obwohl sie genau wusste, dass dort nichts Verdächtiges zu finden sein würde. Dafür war er zu vorsichtig.
Trotzdem ging sie die Aufzeichnungen flüchtig durch. Einer der Männer brachte ihr einen Hocker, ein anderer einen Tisch, auf den sie die Bücher legen konnte, und noch ein anderer eine Tasse Tee. Sie war beeindruckt, wie genau sich die Zahlenreihen addierten. Ihre Mutter hatte ihr erklärt, dass Quartiermeister oft viele schlampige
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