Der Traum des Wolfs
Eintragungen machten, auf andere Seiten oder andere Kontobücher verwiesen, verschiedene Arten von Vorräten in verschiedenen Büchern erfassten, und das alles nur, um es so schwer wie möglich zu machen, den genauen Ablauf zu verfolgen. Ein Anführer, der sich von den Eintragungen verwirren ließ, würde davon ausgehen, dass der Quartiermeister seine Arbeit tun musste.
Davon war hier nichts zu sehen. Welche Tricks Bavin auch immer bei den Einträgen benutzte, um seine Diebereien zu verschleiern, man musste sie beinahe schon als magisch bezeichnen. Und er stahl auf jeden Fall, oder teilte seine Lebensmittelvorräte auf zumindest ausgesprochen kreative Weise aus. Das war unvermeidbar. Die meisten Quartiermeister betrachteten so etwas nicht als Diebstahl; er hatte den Befehl über seine Vorräte, und das war es.
»Wie seltsam doch alles ist«, sagte Faile, als sie in dem Kontobuch herumblätterte. »Die seltsamen Pfade des Schicksals.«
»Meine Lady?«, fragte Bavin.
»Hm? Oh, nichts. Nur dass Torven Rikshans Lager seine Mahlzeiten jeden Abend eine gute Stunde vor den anderen Lagern erhielt. Das ist bestimmt nur ein Zufall.«
Bavin zögerte. »Zweifellos, meine Lady.«
Sie blätterte weiter in den Aufzeichnungen herum. Torvan Rikshan war ein Lord aus Cairhien, dem man die Aufsicht über eines der zwanzig Lager in der großen Masse der Flüchtlinge übertragen hatte. Für gewöhnlich hatte er eine außerordentlich große Anzahl Adliger in seinem Lager. Aravine hatte Faile darauf aufmerksam gemacht; sie war sich nicht sicher, was Torven getan hatte, um die Zutaten für seine Mahlzeiten schneller zu bekommen, aber das konnte so nicht weitergehen. Die anderen Lager würden möglicherweise der Ansicht sein, dass Perrin hier jemanden bevorzugte.
»Ja.« Faile lachte leise. »Bloß ein Zufall. In einem so großen Lager kommt so etwas eben vor. Erst letztens hat sich Varkel Tius bei mir darüber beschwert, dass er Zeltplane angefordert hat, um eingerissene Zelte zu flicken, aber er wartet nun schon seit fast einer Woche auf das Material. Dabei weiß ich genau, dass Soffi Moraton ihr Zelt während der Flussüberquerung zerriss, es aber am Abend schon wieder geflickt war.«
Bavin schwieg.
Faile erhob keine Beschuldigungen. Ihre Mutter hatte ihr eingeschärft, dass ein guter Quartiermeister zu wertvoll war, um ihn in den Kerker zu werfen, vor allem wenn der Nachfolger nur halb so fähig, dafür aber genauso korrupt war. Failes Pflicht lag nicht darin, Bavin zu entlarven oder zu beschämen. Er musste lediglich besorgt genug sein, um sich unter Kontrolle zu halten.
»Vielleicht könnt Ihr etwas wegen dieser Unregelmäßigkeiten unternehmen, Bavin«, sagte sie und schloss das Kontobuch. »Ich hasse es, Euch mit so albernen Angelegenheiten zu belästigen, aber die Probleme dürfen nicht an das Ohr meines Gemahls dringen. Ihr wisst, wie er ist, wenn er wütend ist.«
Tatsächlich war es so wahrscheinlich, dass Perrin einen Mann wie Bavin verletzte, wie Faile mit den Armen flattern und davonfliegen konnte. Aber das Lager sah das anders. Alle hatten Berichte über Perrins entfesselte Wut im Schlachtgetümmel gehört, dann waren da die Auseinandersetzungen, die Faile gelegentlich mit ihm hatte - die sie provozierte, damit eine vernünftige Diskussion zustande kam -, also nahmen sie an, dass er schrecklich jähzornig war. Das war gut so, solange sie ihn zugleich auch für ehrenhaft und freundlich hielten. Er beschützte seine Leute, aber die, die ihn verrieten, zogen seinen Zorn auf sich.
Faile stand von dem Hocker auf, drückte einem der Männer, der Tintenflecken an Fingern und Wams hatte, die Bücher in die Hand. Sie lächelte Bavin zu, dann verließ sie den Versorgungskreis. Missmutig fiel ihr auf, dass ein Büschel wilder Schalotten am Wegesrand in den wenigen Augenblicken, die vergangen waren, seit sie sie passiert hatte, verdorben war; die Stängel waren zerschmolzen und matschig, als hätten sie wochenlang in der Sonne gefault. Solche Schäden waren erst kürzlich im Lager aufgetreten, aber den Berichten nach zu urteilen, geschah es draußen im Land viel häufiger.
Da der Himmel so bewölkt war, fiel es schwer, die Zeit genau festzustellen, aber der dunkler werdende Horizont schien zu verkünden, dass der Augenblick gekommen war, sich mit Perrin zu treffen. Faile lächelte. Ihre Mutter hatte sie gewarnt, wie ihr Leben aussehen würde, hatte ihr gesagt, was man von ihr erwarten würde, und Faile hatte befürchtet, sich
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