Der Traum des Wolfs
reiten?«
»Besser, als hierzubleiben.«
Yoeli streckte eine Hand aus und zog Ituralde hinter sich auf den Sattel. Ituraldes Bein protestierte gequält, aber es war keine Zeit, um auf eine Trage zu warten.
Zwei andere Reiter ließen seine Leibwächter aufsetzen, und bald galoppierten sie zur Stadt.
»Seid gesegnet«, sagte Ituralde. »Auch wenn Ihr lange genug gewartet habt.«
»Ich weiß.« Yoelis Stimme klang seltsam grimmig. »Ich hoffe, Ihr seid das wert, Eroberer, denn meine heutigen Taten werden mich vermutlich mein Leben kosten.«
»Was?«
Der Mann antwortete nicht. Er brachte Ituralde mit donnernden Hufen in die Sicherheit der Stadt - falls man sie als sicher bezeichnen wollte, da sie nun von einer Streitmacht aus mehreren Hunderttausend Kreaturen Schattengezücht belagert wurde.
Morgase verließ das Lager. Niemand hielt sie auf, obwohl ihr so mancher einen seltsamen Blick zuwarf. Sie passierte den bewaldeten nördlichen Rand. Hier wuchsen Burleichen, die weit genug auseinander standen, um ihre großen Äste entfalten zu können. Sie schritt unter den Zweigen hindurch und atmete tief die schwüle Luft ein.
Gaebril war einer der Verlorenen gewesen.
Schließlich fand sie eine Stelle, an der ein kleiner Fluss aus dem Hochland eine Kluft zwischen zwei Felsen füllte und einen stillen Teich bildete. Die hohen Felsen ringsum drängten sich zusammen wie ein uralter zerbrochener Thron für Riesen.
In der Höhe trugen die Bäume Blätter, auch wenn viele kränklich aussahen. Eine weniger dichte Wolkengruppe trieb am Himmel vorbei und ließ etwas Sonne zum Boden durch. Die verstreuten Lichtstrahlen durchdrangen das klare Wasser und malten helle Flecken auf den Teichgrund. Kleine Fische schossen zwischen den Sprenkeln her, als wollten sie das Licht untersuchen.
Morgase umrundete den Teich und setzte sich schließlich auf einen flachen Stein. Aus der Ferne drang der Lärm des Lagers heran. Rufe, Pfosten, die in den Boden gehämmert wurden, vorbeirollende Karren.
Sie starrte in den Teich. Gab es etwas Widerwärtigeres, als von jemandem zur Schachfigur gemacht zu werden? Gezwungen zu werden, wie eine Holzpuppe an ihren Fäden zu tanzen? In ihrer Jugend hatte sie zur Genüge erlebt, wie man sich den Launen anderer fügen musste. Das war für sie die einzige Möglichkeit gewesen, sich zu behaupten.
Taringail hatte versucht, sie zu manipulieren. Tatsächlich war er oft darin erfolgreich gewesen. Es hatte auch andere gegeben. So viele hatten sie entweder in die eine oder andere Richtung gedrängt. Zehn Jahre hatte sie damit verbracht, die jeweils stärkste Fraktion zufriedenzustellen. Zehn Jahre, in denen sie langsam Allianzen aufgebaut hatte. Es hatte funktioniert. Schließlich hatte sie allein manövrieren können. Als Taringail bei der Jagd gestorben war, hatten viele hinter vorgehaltener Hand behauptet, sein Tod hätte sie befreit, aber ihre engste Umgebung hatte gewusst, dass sie seine Autorität bereits beträchtlich untergraben hatte.
Sie konnte sich noch genau an den Tag erinnern, an dem sie die Letzten losgeworden war, die sich eingebildet hatten, die wahre Macht hinter dem Thron zu sein. Das war der Tag gewesen, an dem sie in ihrem Herzen tatsächlich zur Königin geworden war. Und geschworen hatte, sich nie wieder von anderen manipulieren zu lassen.
Und Jahre später war Gaebril gekommen. Und danach Valda, der noch schlimmer gewesen war. Bei Gaebril hatte sie wenigstens nicht mitbekommen, was da eigentlich vor sich ging. Das hatte die Verletzungen betäubt.
Das Knacken zerbrechender Zweige kündigte einen Besucher an. Das Licht vom Himmel verblich, und die kleinen Fische spritzten auseinander.
Die Schritte verstummten neben ihrem Stein. »Ich reise ab«, sagte Tallanvor. »Aybara hat seinen Asha’man die Erlaubnis gegeben, Wegetore zu machen; sie fangen mit einigen der fernen Städte an. Ich gehe nach Tear. Gerüchten zufolge gibt es dort wieder einen König. Er stellt ein Heer für die Letzte Schlacht auf. Ich will dabei sein.«
Morgase schaute auf und starrte auf die Bäume. Man konnte sie wirklich nicht als Wald bezeichnen. »Es heißt, du wärst so besessen wie Goldauge gewesen«, sagte sie leise. »Du hast dich nicht ausgeruht, hast dir kaum Zeit zum Essen genommen, hast jeden Augenblick mit der Suche nach einer Möglichkeit verbracht, wie man mich befreien könnte.« Tallanvor sagte nichts.
»Das hat noch kein Mann für mich getan«, fuhr sie fort. »Taringail sah mich als Schachfigur,
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