Der Traum des Wolfs
Schlosses hin und her. »Diese Tür könnte aufgebrochen worden sein«, sagte er leise. »Seht Ihr diesen Kratzer auf dem Riegel? Man kann diese Art Schloss öffnen, indem man einen schmalen Haken einführt und gegen den Riegel stemmt, um dann Druck auf die Klinke auszuüben. Das kann man so gut wie lautlos machen.«
»Warum sollten Schwarze Ajah eine Tür aufbrechen müssen?«, fragte Gawyn.
»Vielleicht sind sie in den Korridor Gereist und dann herumgegangen, bis sie unter einer Tür Licht durchscheinen sahen«, meinte Sleete.
»Und warum das Tor dann nicht auf der anderen Seite öffnen?«
»Machtlenken hätte die Frau darin alarmiert«, sagte Sleete.
»Das stimmt.« Gawyn sah zu dem blutigen Flecken. Der Schreibtisch stand so, dass sein Benutzer der Tür den Rücken zukehrte. Dieses Arrangement gab Gawyn einen Juckreiz zwischen den Schultern. Wer stellte denn einen Schreibtisch so auf? Eine Aes Sedai, die sich in völliger Sicherheit wähnte und von möglichen Störungen auf dem Korridor abgewandt sitzen wollte. Trotz ihrer ganzen Durchtriebenheit schienen Aes Sedai manchmal ein erstaunlich unterentwickeltes Gefühl für Selbsterhaltung zu haben.
Aber vielleicht dachten sie auch einfach nicht wie Soldaten. Um diese Dinge kümmerten sich ihre Behüter. »Hatte sie einen Behüter?«
»Nein«, sagte Sleete. »Ich habe sie kennengelernt. Sie hatte keinen.« Er zögerte. »Keine der Ermordeten hatte einen Behüter. «
Gawyn sah Sleete mit hochgezogener Braue an.
»Das macht Sinn«, sagte Sleete. »Wer auch immer sie umbringt, wollte keine Behüter alarmieren.«
»Aber warum mit dem Messer töten?«, sagte Gawyn. Alle vier waren auf diese Weise getötet worden. »Die Schwarzen Ajah müssen nicht den Drei Eiden gehorchen. Sie hätten mit der Einen Macht töten können. Viel direkter, viel einfacher.«
»Aber damit riskiert man, das Opfer oder all jene in der Nähe zu alarmieren«, bemerkte Sleete.
Ein weiterer guter Einwand. Trotzdem, irgendetwas an diesen Morden ergab keinen Sinn.
Aber vielleicht griff er ja auch daneben, bemühte sich, etwas zu finden, mit dem er helfen konnte. Ein Teil von ihm glaubte, dass, wenn er Egwene bei diesem Problem helfen konnte, sie ihm zugeneigter sein würde. Ihm vielleicht vergeben würde, dass er sie während des Angriffs der Seanchaner aus der Burg gerettet hatte.
Einen Augenblick später trat Chubain ein. »Ich gehe davon aus, dass Eure Lordschaft ausreichend Zeit hatten«, sagte er steif. »Die Dienerschaft ist da, um sauber zu machen.«
Unerträglicher Kerl!, dachte Gawyn. Muss er mir gegenüber so abschätzig sein? Ich sollte …
Nein. Gawyn zwang sich, sein Temperament unter Kontrolle zu behalten. Früher war ihm das nicht so schwergefallen.
Warum war Chubain so feindselig? Gawyn ertappte sich bei dem Gedanken, wie wohl seine Mutter mit so einem Mann umgegangen wäre. Er dachte nicht oft an sie, denn das erinnerte ihn an al’Thor. Diesem Mörder hatte man sogar erlaubt, die Weiße Burg ungehindert zu verlassen! Egwene hatte ihn in der Hand gehabt und ihn gehen lassen.
Sicher, al’Thor war der Wiedergeborene Drache. Aber in seinem Herzen wollte Gawyn al’Thor mit dem Schwert in der Hand begegnen und ihn mit Stahl durchbohren. Wiedergeborener Drache oder nicht.
Al’Thor würde dich mit der Einen Macht in Stücke reißen, sagte er sich. Du bist ein Narr, Gawyn Trakand. Sein Hass auf al’Thor brodelte trotzdem weiter.
Einer von Chubains Wächtern trat vor, sagte etwas und zeigte auf die Tür. Chubain sah verärgert aus, dass ihnen das aufgebrochene Schloss nicht aufgefallen war. Die Burgwache diente nicht als Ordnungshüter - die Schwestern brauchten so etwas nicht und waren bei dieser Art Untersuchung sowieso viel effektiver. Aber Gawyn konnte sehen, dass sich Chubain wünschte, er könnte den Anschlägen ein Ende bereiten. Die Burg und ihre Bewohner zu beschützen war seine Pflicht.
Also arbeiteten er und Gawyn für dasselbe Ziel. Aber Chubain benahm sich, als wäre das ein persönlicher Wettstreit zwischen ihnen. Obwohl seine Seite während der Spaltung der Burg fraglos von Brynes Seite besiegt wurde, dachte Gawyn. Und soweit er weiß, gehöre ich zu Brynes Lieblingen.
Gawyn war kein Behüter, aber er war ein Freund der Amyrlin. Er aß zusammen mit Bryne. Wie sah das wohl für Chubain aus, vor allem jetzt, da er die Erlaubnis erhalten hatte, die Morde zu untersuchen?
Beim Licht!, dachte Gawyn, als ihm Chubain einen finsteren Blick zuwarf. Er glaubt, ich
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