Der Traum des Wolfs
will ihm seine Stellung streitig machen. Er glaubt, ich will Oberhauptmann der Burgwache werden!
Die Vorstellung war einfach lächerlich. Gawyn hätte der Erste Prinz der Schwerter sein können, nein müssen, der Anführer der Heere Andors und der Beschützer der Königin. Er war der Sohn von Morgase Trakand, eine der einflussreichsten und mächtigsten Herrscherinnen, die Andor je gehabt hatte. Er verspürte nicht das geringste Verlangen für die Position dieses Mannes.
Allerdings sah das Chubain sicher anders. Entehrt durch den zerstörerischen seanchanischen Angriff, musste er das Gefühl haben, seine Stellung sei in Gefahr.
» Hauptmann «, sagte Gawyn, » ein Wort unter vier Augen?«
Chubain sah Gawyn misstrauisch an, aber dann deutete er mit dem Kopf in Richtung Korridor. Die beiden Männer zogen sich zurück. Draußen warteten schon nervöse Burgdiener, die alles vom Blut säubern wollten.
Chubain verschränkte die Arme und musterte Gawyn. » Was wollt Ihr von mir, mein Lord?«
Er betonte oft den Rang. Ganz ruhig, dachte Gawyn. Er verspürte noch immer Scham über die Art und Weise, wie er sich den Weg in Brynes Lager erzwungen hatte. Er war besser als das. Die Zeit bei den Jünglingen und das hautnahe Erleben der Spaltung der Burg, die Verwirrung und Schande, die dieses Ereignis mit sich gebracht hatte, hatten ihn verändert. Diesem Pfad konnte er nicht länger folgen.
»Hauptmann«, sagte er, »ich weiß es zu schätzen, dass Ihr mich dieses Zimmer untersuchen ließet.«
»Ich hatte keine große Wahl.«
»Das weiß ich. Trotzdem danke ich Euch. Es ist mir wichtig, dass die Amyrlin sieht, dass ich helfe. Falls ich etwas finde, das die Schwestern übersehen haben, könnte das sehr wichtig für mich sein.«
»Ja«, erwiderte Chubain mit zusammengekniffenen Augen. »Das könnte es wohl.«
»Vielleicht nimmt sie mich dann endlich als ihren Behüter an.«
Chubain blinzelte. »Ihren … Behüter?«
»Ja. Einst erschien es so gut wie sicher, dass sie das tut, aber jetzt… nun, wenn ich Euch bei dieser Untersuchung helfen kann, wird das vielleicht ihren Zorn auf mich abkühlen.« Er hob die Hand und drückte Chubains Schulter. »Ich werde Eure Hilfe nicht vergessen. Ihr nennt mich Lord, aber mein Titel hat so gut wie jede Bedeutung für mich verloren. Ich will nur Egwenes Behüter sein, sie beschützen.«
Chubain runzelte die Stirn. Dann nickte er und schien sich zu entspannen. »Ich habe Euer Gespräch mitbekommen. Ihr sucht nach Spuren von Wegetoren. Warum?«
»Ich halte das nicht für das Werk der Schwarzen Ajah«, sagte Gawyn. »Ich glaube, es könnte ein Grauer Mann sein oder irgendein Attentäter. Vielleicht ein Schattenfreund bei der Dienerschaft? Ich meine, seht Euch doch nur an, wie die Frauen getötet werden. Messer.«
Chubain nickte. »Es gab auch Anzeichen für einen Kampf. Die Schwestern, die die Untersuchung durchführen, erwähnten es. Die vom Tisch gefegten Bücher. Sie glaubten, das wären die Zuckungen der Sterbenden gewesen.«
»Seltsam«, meinte Gawyn. »Wäre ich eine Schwarze Schwester, würde ich die Eine Macht benutzen, ganz egal, dass andere das spüren könnten. In der Burg lenken Frauen ständig die Macht; das wäre nicht verdächtig. Ich würde meine Opfer mit Geweben fesseln, sie mit der Macht töten und dann entkommen, bevor auch nur jemand Verdacht schöpft. Kein Kampf.«
»Vielleicht«, sagte Chubain. »Aber die Amyrlin scheint davon überzeugt zu sein, dass es das Werk von Schwarzen Schwestern ist.«
»Ich spreche mit ihr, um den Grund dafür zu erfahren«, sagte Gawyn. »Aber vielleicht solltet Ihr im Moment denen, die diese Untersuchung durchführen, den Vorschlag machen, dass es klug sein könnte, die Diener zu befragen. Wenn man es einmal auf diese Weise betrachtet?«
»Ja… ich glaube, das könnte ich tun.« Der Mann nickte und schien sich weniger bedroht zu fühlen.
Die beiden Männer traten zur Seite. Chubain gab den Dienern das Zeichen, eintreten zu dürfen. Sleete kam mit nachdenklicher Miene heraus. Er hielt etwas zwischen zwei Fingern in die Höhe. »Schwarze Seide«, sagte er. »Man kann nicht feststellen, ob die vom Angreifer stammt.«
Chubain nahm die Fasern entgegen. »Seltsam.«
»Eine Schwarze Schwester würde wohl kaum Schwarz tragen, um ihre Gesinnung zur Schau zu stellen«, sagte Gawyn. »Ein gewöhnlicher Attentäter hingegen könnte dunkle Farben brauchen, um sich besser zu verbergen.«
Chubain schlug die Fasern in ein Taschentuch ein und
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