Der Triumph der Heilerin.indd
vor Kummer so dünn geworden war. In Gedanken versunken, gab er den verwirrten Pferden in dieser Nacht ein zweites Mal ihr Futter. Er wusste, was Anne de Bohun brauchte, auch wenn sie selbst es nicht wissen mochte. Sie brauchte ihn.
Und es war seine Aufgabe, ihr dies klarzumachen.
Kapitel 80
Zwei Tage später, die Ernte war eingebracht und die Stoppelfelder abgebrannt, setzte der Regen ein. Anne stand unter der Stalltür, Morgannes Zaumzeug in der Hand, und betrachtete die Pfützen, die sich im Innenhof bildeten. Der Zeitpunkt war perfekt. Die Erde war ausgetrocknet und würde vom Regen aufgeweicht werden. Einige der abgeernteten Ackerstreifen wollten sie ruhen lassen, aber ein Drittel sollte umgepflügt und mit Wintergetreide eingesät werden. Endlich, endlich ging alles seinen rechten Lauf.
Sie blinzelte zum Himmel hinauf. Es regnete sich ein. Wenn sie zum Dorf reiten wollte, brauchte sie ihren Kapuzenum -hang. Das Erntefest, das in Kürze in der großen Scheune gefeiert werden sollte, musste besprochen werden. Sie streichelte Morgannes Nüstern, woraufhin das Pferd schnaubte und den Kopf zurückwarf.
»Ja, wir brechen bald auf. Ich will nur meinen anderen Mantel holen.«
Anne zog den Kopf ein und wollte gerade über den Innenhof rennen, als jemand sie rief. Ein Mann. »Anne de Bohun!«
Sie drehte sich um, der Regen blendete sie einen Augenblick lang ... »Moss!«
Bruder Agonistes, der einstige Dr. Moss, war, wie zum Spott auf ihre eben noch so glückliche Stimmung, mit einer Truppe bewaffneter Männer durch das Haupttor geritten, das sie offen gelassen hatte. Alle, mit Ausnahme des Mönchs, trugen braunrote und blaue Uniformen, die Farben von York. Agonistes fuchtelte mit einem elfenbeinernen Kreuz in der Luft herum, und seine Augen flackerten bedrohlich, als er auf Anne zuritt.
»Ihr wisst, dass ich nicht mehr so heiße. Ich bin jetzt ein Diener des Herrn. Und Ihr seid als Hexe entlarvt worden.« Seine Stimme klang eiskalt.
Der Zorn belebte Anne. Sie richtete sich gerade auf und starrte Agonistes, ohne mit der Wimper zu zucken, an. »Das ist ein ausgemachter Unsinn. Ich habe Euch nicht in mein Haus gebeten. Anscheinend habt Ihr große Angst vor mir - oder vor Euch selbst -, sonst brauchtet Ihr nicht so viele bewaffnete Männer.« Sie drehte ihm den Rücken zu und ging auf die Tür zum Haupthaus zu. Gleich, gleich war sie dort, wenn sie nur endlich bei der Tür wäre .
Agonistes gab seinem Pferd die Sporen und stellte sich ihr in den Weg. »Halt! Ich bin bevollmächtigt, Euch von diesem Ort wegzuschaffen.«
Der Mönch zog eine kleine Schriftrolle aus dem Ärmel seines Habits. Anne drehte sich zu ihm um und wischte sich den Regen aus den Augen. Der Mönch wedelte mit der Schriftrolle, sein Pferd tänzelte auf sie zu.
»Oh, ich versichere Euch, es ist alles ordentlich bezeugt und abgezeichnet. Ihr habt die Bedingungen Eurer Verbannung missachtet. Der König persönlich hat mir diesen Befehl erteilt.« Er umkreiste sie auf seinem Pferd, verhöhnte sie.
Annes Herz krampfte sich zusammen. »Zeigt mir dieses Ding.«
Deborah, die im Obstgarten Eier aufgesammelt hatte, betrat zufällig in diesem Augenblick den Innenhof, um zur Küche zu gehen. Vor Schreck ließ sie fast ihren Eierkorb fallen und eilte zu ihrer Tochter. »Anne?«
Der Mönch beachtete Deborah nicht. »Aha, Ihr könnt also lesen, Lady Anne? Zu viel Bildung ist unnütz für Frauen. Außer heute, vielleicht. Lest nur, was hier steht. Falls Ihr wirklich lesen könnt.« Hämisch grinsend reichte er ihr das Schriftstück. Anne erkannte das Siegel, das daran baumelte. Das Siegel des Königs.
Die Augen des Mannes funkelten triumphierend, doch Anne achtete nicht darauf, sondern riss ihm die Schriftrolle aus der Hand. Sie drehte sich um und entrollte sie. Der Regen fiel auf das Pergament, und die Buchstaben begannen zu verlaufen, aber sie begriff trotzdem, was dort geschrieben stand. Alles.
»Wir, Edward, König von Gottes Gnaden, Herrscher über die Königreiche von England, Frankreich, Irland und Wales, Herzog von ... verfügen hiermit, dass die als Anne de Bohun bekannte Frau, Herrin von Herrard Great Hall in der Grafschaft ... die Auflagen ihrer Verbannung gebrochen hat und deshalb auf alle Zeit aus unserem Königreich verbannt werden soll ... Mein Beauftragter, der unter dem Namen Bruder Agonis-tes bekannte Dominikanermönch, soll besagte Anne de Bohun aus meinem Königreich entfernen und sie an einen Ort seiner Wahl verbringen, um sie zur
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