Der Triumph der Heilerin.indd
verschrumpelte, alte Schweinehirt, der im Schweinestall hauste, schwor, dies sei die reine Wahrheit. Er redete alles Mögliche über Lady Anne und auch über den König und die Königin. Sein obszönes, bösartiges Geschwätz stellte ihre Herrin als ehebrecherische Hure dar, die auf den Scheiterhaufen gehörte. Die arme Jane war ganz durcheinander, denn sie hatte von Lady Anne bisher nur Freundlichkeit erfahren. Traurig dachte sie, ihre Herrin müsse besonders böse sein, wenn sie ihr schwarzes Herz so gut verbergen konnte, denn ihre Schönheit und Anmut ließen auf ein gutes Herz schließen.
Am Nachmittag des dritten Tages fand Jane, dass ihre Herrin aussah, als würde sie nicht nach Hause, sondern zu ihrer eigenen Hinrichtung reiten. Und sie fragte sich, ob an dem Gerede doch etwas Wahres sei, aber dann bekreuzigte sie sich, um diesen schrecklichen Gedanken abzuwehren.
Die Landschaft war schon herbstlich angehaucht, und obwohl es noch warm war, war das Blattwerk der großen Eiche im Innenhof von Herrard Great Hall bereits trocken und braun geworden, als wollte es die Zukunft vorwegnehmen. Die ersten, ungestümen Herbstwinde pfiffen um den mächtigen Baumstamm und rissen die Blätter von den Zweigen. So viele Blätter, dass der kleine Junge sich zwischen den dicken Ästen nicht mehr verstecken konnte. Er sah die Reiter als Erster, die sich in der Abendsonne näherten.
»Deborah, Deborah!«
Er schlitterte von Ast zu Ast, schürfte sich Knie und Ellbogen auf. Dann holte er tief Luft und sprang die letzten sechs Fuß auf den Boden hinab, das war über doppelt so hoch wie er selbst. Edward ließ sich in das frische Laub fallen und kam unbeschädigt wieder auf die Füße.
»Wissy, Wissy! Du bist wieder da, du bist wieder da!« Schnell wie ein Blitz und hurtig wie ein Füllen legte er den Abstand zwischen Baum und Hoftor zurück. »Oh, wir haben die ganze Zeit gewartet, gewartet und gewartet. Ich dachte, du würdest nie mehr kommen.«
Anne sprang von ihrem Pferd und sank in die Hocke. Mit weit ausgebreiteten Armen empfing sie den kleinen Jungen, der sich ihr entgegenwarf. »Ja, ich bin da. Und jetzt bleibe ich für immer.« Ihr Sohn lag in ihren Armen, und sie spürte das Klopfen seines kleinen Herzens.
»Für immer? Du gehst nie mehr fort?«
Anne schüttelte den Kopf und wischte seine und ihre Tränen
ab.
»Ja. Jetzt bleibe ich zu Hause. Wat?« Anne drehte sich zu ihren Dienern um. »Ihr und Ralph bringt die Pferde bitte in den Stall. Sie sind bestimmt hungrig. Und, Jane, du hilfst ihnen.«
»Anne!« Deborah rannte über den Hof, ohne auf die Schmerzen in ihren Knien zu achten, die sich im Herbst immer einstellten. »Oh, Kind, Kind. Du bist so dünn!« Anne de Bohun wollte Deborah umarmen, doch diese hielt die junge Frau auf Armeslänge von sich weg und sah sie fragend an. Anne lächelte schief.
»Dünn, Mutter? Das ist schnell wieder behoben. Dein gutes Essen und die Landluft, mehr brauche ich nicht, um wieder zu Kräften zu kommen.«
Anne schirmte ihre Augen mit der Hand ab und sah zu ihren Reisegefährten, die die Pferde wegführten, dann wanderte ihr Blick weiter, und sie betrachtete das Haus, ihr Haus. Die Zinnen traten dunkel und scharfkantig gegen den flammenden Abendhimmel hervor. Der große Baum stand da wie ein Wächter und Zeuge ihres Schicksals. War ihr das genug? War ihr das wirklich genug?
Deborah sah die Wahrheit im Gesicht ihrer Tochter. Anne war tief verletzt, und die Verletzung tat unendlich weh. Frieden und Ruhe, das brauchte Anne jetzt. Und Zeit, damit die Wunden heilen konnten.
Edward wurde ungeduldig. Er zupfte Anne am Rock. »Wir waren ganz fleißig, als du fort warst. Komm doch und schau.« Er zog sie zu einem der großen Lagerräume unterhalb der Wohn-räume des Gutshauses. Durch die offene Tür sah Anne viele Reihen hoch aufgestapelter, prall gefüllter Säcke.
Anne war angemessen beeindruckt. »Hast du das gemacht, Edward? Ganz allein?«
Der Knabe kicherte. »Nein, nicht ich. Das war Leif. Aber es ist für dich. Als Überraschung. Du magst doch Überraschungen, Wissy?«
Anne sah zu Deborah. Diese nickte. »Er hat alle zur Arbeit angetrieben, sich selbst auch. Leif will die Ernte einbringen, bevor der Regen kommt. Edward hat brav geholfen - er ist ein sehr guter Ährenleser. Meggan sagt, der beste, den sie je gesehen hat.« Edward nickte stolz. Deborah strich ihm liebevoll durchs Haar. »Der Sommer war gut, wir haben Getreide im Überfluss und genug Futter für die Tiere, die
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