Der Trotzkopf
man diese Worte reizend finden!« rief Flora entrüstet. »Traurig – düster – das ist der rechte Ausdruck dafür. Ein einsames, verlassenes Herz hat sie empfunden und welche Folterqualen mag es dabei erlitten haben.«
»O, das Herz ist eine sehr zähe Ding, und doch wär’ es manchmal besser,« deklamierte Nellie mit komischem Pathos, aber sie kam nicht weiter. Flora hielt ihr den Mund zu.
»Du bist schändlich – ganz abscheulich!« rief sie, »nie, nie wieder weihe ich dich in meine geheimsten Gedanken ein! Wie kannst du mein Vertrauen so mißbrauchen?«
* * *
Weihnachten rückte heran
und fleißig rührten sich aller Hände. Da wurde genäht, gestickt, gezeichnet, Klavierstücke wurden eingeübt, um die Eltern oder die Angehörigen liebevoll zu überraschen.
Ilse hatte noch niemals den Vater oder die Mutter mit einer Arbeit erfreut. Zuweilen hatte sie eine kleine Arbeit angefangen, auf dringendes Zureden ihrer Gouvernanten, aber sie war nicht weit damit gekommen. Sie habe einmal kein Geschick dazu, behauptete sie, und dachte nicht daran, daß es ihr nur einfach an Geduld und Ausdauer mangele.
»Was willst du deine Eltern geben?« fragte Nellie, die eifrig dabei war, einen sterbenden Hirsch in Kreide zu zeichnen, er sollte ein Geschenk für den Onkel in London werden, der sie im Institute ausbilden ließ.
»Ich habe noch nicht daran gedacht,« entgegnete Ilse. »Meinst du, Nellie,« fügte sie nach einigem Besinnen hinzu, »daß die Rose, die ich jetzt zeichne, dem Papa Freude machen würde?«
»O sicher! Aber du mußt sehr fleißig sein, mein klein’ Ilschen, sonst wird die liebe Christfest kommen und du bist noch lang nicht fertig. Und was willst du deine Mutter geben?« fragte Nellie.
»Meiner Mama?« Sie dehnte ihre Frage etwas in die Länge. »Ich werde ihr etwas kaufen,« sagte sie dann so obenhin.
Nellie war nicht damit zufrieden. »Kaufen, das macht keine Freude!« tadelte sie. »Warum wollen deine Finger faul sein?«
»Nellie hat recht,« mischte sich Rosi in das Gespräch, die neben Ilse saß und an einer altdeutschen Decke arbeitete. »Deine Mama wird wenig Freude an einem gekauften Gegenstand haben.«
»Ich bin zu ungeschickt,« gestand Ilse offen.
»Wir werden dir helfen und dir alles gern zeigen,« versprach Rosi. Und Fräulein Güssow, die grade hinzutrat, benahm Ilse den letzten Zweifel.
»Du kannst ein gleiches Nähkörbchen, wie Annemie anfertigt, arbeiten, ich weiß bestimmt, es wird dir gelingen.«
Und es gelang wirklich, ja weit besser, als Ilse sich selbst zugetraut. Sie hatte eine kindliche Freude, als das Körbchen so wohlgelungen in acht Tagen fix und fertig vor ihr stand.
»Es sind noch vierzehn Tage bis Weihnachten,« sagte sie zu Rosi, »und ich möchte noch etwas arbeiten, für Fräulein Güssow und Fräulein Raimar.«
»Und für meine Lori, bitt’ schön, meine gute Ilse!« bettelte Lilli, die gewöhnlich an den Mittwochnachmittagen im Arbeitssaale zugegen war und dann ihren Platz dicht bei Ilse wählte, die sie, wie sie sich ausdrückte, zum aufessen liebte. »Mein’ Lori muß halt a neues Kleiderl haben,« fuhr sie fort und hielt ihre Puppe in die Höhe, »bescher’ ihr eins zum heil’gen Christ. Schau, das alte da ist ja schlecht!«
Natürlich versprach Ilse, ihr diesen Herzenswunsch zu erfüllen, und zur Besiegelung drückte sie dem kleinen Liebling einen Kuß auf die roten Lippen.
»Ich habe eine famose Idee!« (famos war seit kurzer Zeit Modewort im Institute) rief Ilse am Abend desselben Tages aus, als sie mit Nellie allein war. »Ich kaufe für Lilli eine neue Puppe und kleide sie selbst an. Was meinst du dazu?«
»O, das ist wirklich ein famos Gedanke,« entgegnete Nellie, »aber lieb Kind, hast du auch an der viele Geld gedacht, die so ein’ Puppe mit ihrer Siebensachen kostet? Wie steht’s mit dein’ Kasse?«
»O, das hat keine Not, ich habe sehr viel Geld!« versicherte Ilse sehr bestimmt. Und sie nahm ihr Portemonnaie aus der Kommode und zählte ihre Schätze.
»Zwölf Mark,« sagte sie, »das ist mehr, als ich brauche, nicht?«
»Sie sind ein sehr schlecht’ Rechenmeister, mein Fräulein,« riß Nellie sie unbarmherzig aus ihrer Illusion, »ich mein’, Sie reichen lang’ nicht aus.«
Ilse sah die Freundin zweifelnd an. »Du scherzest,« meinte sie, »zwölf Mark ist doch furchtbar viel Geld?«
»Reicht lang nicht!« wiederholte Nellie unerbittlich, »hör zu, ich will dir
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