Der Trotzkopf
vorrechnen:
1) Ein Nähtischdecken für Fräulein Raimar macht vier Mark, 2) ein Arbeitstaschen für Fräulein Güssow macht drei Mark, 3) eine schöne Geschenk für die liebe Nellie und all die andren junge Fräulein – macht – sehr viele Mark.
Wo willst du Geld zu der Puppen nehmen?«
»Ach,« fiel Ilse ihr ins Wort, »und unser Kutscher daheim und seine drei Kinder! – daran habe ich noch gar nicht gedacht!«
Sie machte ein recht betrübtes Gesicht, denn sie hatte es sich gar zu reizend ausgedacht, wie sie Lilli überraschen wollte. Nun konnte es nichts werden.
Nachdenklich saß sie einige Augenblicke, dann leuchteten plötzlich ihre Augen freudig auf.
»Halt!« rief sie aus, »ich weiß etwas! Heute abend schreibe ich an Papa und bitte ihn, mir Geld zu schicken. Er thut es, ich weiß es ganz bestimmt. Mein Papa ist ja ein zu reizender Papa!«
»Und dein’ Mutter?« fragte Nellie, »ist sie nicht auch ein’ sehr gütiger Frau? Wie macht sie dich immer Freude mit die viel’ schöne Sachen, die sie an dir schickt. Freust du dir sehr auf Weihnachten? Ja? Es ist doch schön, die lieben Eltern wieder sehen.«
Ilse zögerte mit der Antwort. Es fiel ihr ein, wie sie im Sommer ihrem Vater entschieden erklärt hatte, zum Christfest nicht in die Heimat zu reisen. Ihr Sinn hatte sich nicht geändert. Noch hatte sie den Groll gegen die Mutter nicht überwunden. Trotzdem sie sich sagen mußte und zuweilen auch ganz heimlich eingestand, wie nötig für ihr Wissen und ihre Ausbildung der Aufenthalt in einer tüchtigen Pension war, so hielt sie immer noch an dem Gedanken fest: ›Sie hat mich fortgeschickt.‹
»Ich werde hier bleiben,« sagte sie, »ich will das Weihnachtsfest mit euch verleben.«
»Das ist famos!« rief Nellie entzückt, »ich freue mir furchtbar, daß du nicht fortreisen willst! All unsre Freunde reisen auch nicht, und es ist so schön hier, die heilige Christ. – Alles bekommt eine große Kiste von Haus, mit allen Bescherung und Schokolad’ und Marzipan! – und die Christabend wird jede Kiste aufgenagelt, und ich helfe auspacken bald der eine, bald der andre.«
»Erhältst du keine Kiste?« fragte Ilse.
»Du weißt ja – ich hab’ kein’ Eltern – wer sollte mir beschenken?«
»Gar, gar nichts bekommst du?«
Ilse konnte es nicht fassen.
»Zu Neujahr schenkt mein Onkel für mir Geld, da kaufe ich mir, was ich notwendig habe.«
Ilse sah die Freundin schweigend an. Am Abend aber schrieb sie einen langen Brief in die Heimat, worin sie zuerst ihren Entschluß mitteilte, daß sie die Weihnachtstage mit den Freundinnen feiern möchte. Dann ging sie zu dem Geldmangel über und schilderte dem Papa mit vielen zärtlichen Schmeichelnamen ihre Not, und zuletzt gedachte sie mit warmen Worten Nellies. – »Noch eine dringende Bitte habe ich zum Schlusse,« fuhr sie in ihrem Briefe fort, »an Dich, Mama,« wollte sie schreiben, aber sie besann sich und schrieb: »an Euch, liebe Eltern. Meine Freundin Nellie ist nämlich die einzige in der Pension, die keine Weihnachtskiste erhalten wird. Sie ist eine Waise und steht ganz allein in der Welt. Ihr Onkel in London läßt sie zu einer Gouvernante ausbilden. Ist das nicht furchtbar traurig? Ach! und die arme Nellie ist noch so jung und immer so fröhlich, ich kann mir gar nicht denken, daß sie eine Gouvernante wird! Es ist doch schrecklich, wenn man kein liebes Vaterhaus hat! – Nun wollt’ ich Euch recht von Herzen bitten, Ihr möchtet die Geschenke, die Ihr mir zugedacht habt, zwischen mir und meiner Nellie teilen und zwei Kisten daraus machen. Bitte, bitte! Ihr schenkt mir stets so viel, daß ich doch immer noch genug habe, wenn es auch nur die Hälfte ist. Ich würde gewiß keine rechte Freude am heiligen Abend haben, wenn Nellie gar nichts auszupacken hätte.
Ihr hattet mir Erlaubnis gegeben, an den Tanzstunden nach Weihnachten teilnehmen zu dürfen, und du, liebe Mama, versprachst mir ein neues Kleid dazu, kaufe mir keins, mein blaues ist noch sehr gut und ich komme damit aus. Schenkt Nellie dafür etwas – bitte, bitte!
Mit diesem heißen Wunsche umarmt Euch
Eure dankbare Ilse.
N. S. Das Geld schicke nur recht bald, einziges Papachen, ich habe es furchtbar nötig.«
Umgehend erhielt denn auch Ilse das Gewünschte. Der zärtliche Papa hatte in seiner Freude über die Herzensgüte seines Kindes eine große Summe schicken wollen, Frau Anne hielt ihn davon zurück. Sie stellte ihm vor, daß es
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