Der Trotzkopf
hatte keine Ahnung, was eigentlich mit den vielen großen und kleinen Tannenzäpfchen geschehen solle. – Daheim verkamen dieselben unbeachtet im Walde. – Es sollte ihr bald kein Geheimnis mehr sein.
Melanie und Rosi hatten die Pinsel ergriffen und fingen an, den unansehnlichen braunen Dingern ein goldenes oder silbernes Gewand zu geben. Und wie schnell das ging. Kaum hatten sie ein paarmal darüber gepinselt, so waren sie fertig.
»Sieh nur, Rosi,« rief Melanie aus und hielt einen vergoldeten Zapfen unter die Gaslampe, »ist der nicht furchtbar reizend? Wundervoll, nicht? Gleichmäßig, wirklich künstlerisch ist er vergoldet, kein dunkles Pünktchen ist an ihm zu sehen!« Und sie betrachtete das Prachtexemplar höchst wohlgefällig nach allen Seiten.
Orla und Rosi hatten fleißig weitergepinselt und stillschweigend einen Tannenzapfen nach dem andern beiseite gelegt.
»Du bist im höchsten Grade langweilig mit deinem ewigen Selbstlobe,« tadelte Orla, »ich habe noch nie jemand kennen gelernt, der sich so vergöttert wie du. Pinsle lieber weiter und halte dich nicht bei unnützen Lobhudeleien auf.«
Melanie fühlte sich sehr getroffen und errötete. »Wie grob du bist, Orla!« sagte sie gereizt, »du hast freilich keinen Sinn für harmlose Vergnügen.«
»Kinder!« unterbrach Fräulein Güssow, die am andern Ende der Tafel saß und Aepfel und Nüsse vergoldete, »keinen Streit! Melanie, komm zu mir, du kannst mir helfen, und du Ilse, versuche einmal, ob du Melanies Stelle ersetzen kannst.«
Ilse ließ sich das nicht zweimal sagen. Eilig griff sie zum Pinsel und flink und gesandt that sie ihre Arbeit. Orla war sehr zufrieden damit.
»Nur nicht ganz so dick aufstreichen,« mahnte sie, »sonst reichen wir nicht mit unsrem Gold- und Silbervorrat.«
Flora und Annemie fertigten Netze aus Goldpapier an. »Eine geisttötende Arbeit,« flüsterte Flora Annemie zu, »und außerdem ohne jede Poesie. Warum die Tanne mit allerhand Tand aufputzen? Ist sie nicht am herrlichsten in ihrem duftigen, grünen Waldkleide? – Lichter vom gelben Wachsstocke in ihr dunkles Nadelhaar gesteckt, – ein goldener Stern hoch oben auf ihrer schlanken Spitze, – schwebend – strahlend! – das nenn’ ich Poesie!« –
Hier hielt sich Annemie nicht mehr, sie bekam einen solchen Lachreiz, daß sie aufsprang und hinauslief, um sich draußen erst auszulachen.
Dicht unter dem Baume standen Grete und Nellie. Letztere hoch auf einer Trittleiter, eine große Düte Salz in der Hand haltend. Die andre mit einem Leimtiegel in der Hand war ihr Handlanger. Das heißt, sie reichte Nellie den Pinsel zu, damit diese die Zweige mit dem Leim bestrich, bevor sie Salz darauf warf.
»Jetzt bin ich eine große Sturmwind und mache der Baum voller Schnee,« scherzte Nellie.
»Wirklich! – die Zweige werden weiß!« rief Ilse und verließ einen Augenblick ihre Arbeit, um sich das Schneetreiben genau anzusehen. »Das ist aber klassisch! Das gefällt mir! Nein, das sieht zu reizend aus!«
Freilich fiel ein großer Teil Salz unter den Baum, indes Nellie ließ sich die Mühe nicht verdrießen, immer wieder kehrte sie dasselbe zusammen und strich es mit der Hand dick auf den Leim.
»Du alt’ Baum wirfst sonst alles Schnee auf die Erde,« meinte sie. »Aber das ist schlechte Arbeit, alle meiner Finger kleben.«
Rosi trat jetzt auch an den Baum heran, um ihn mit den glänzenden Tannenzapfen zu schmücken. Sie sah heute ganz anders aus als sonst. Ihre sonst so gleichmäßigen Züge trugen den Ausdruck froher Erwartung, ihre milden Augen strahlten und rosig waren ihre Wangen angehaucht.
»O du selige, o du fröhliche Weihnachtszeit,« summte sie mit ihrer frischen Stimme leise vor sich hin, und Fräulein Güssow rief ihr zu:
»Singe nur laut heraus, Rosi, das bringt uns bei unsrer Arbeit so recht in die echte Weihnachtsstimmung.«
»Wir wollen alle singen!« riefen Grete und Annemie, »bitte, Fräulein Güssow!«
»Meinetwegen, aber hübsch gedämpft, Kinder, damit die Kleinen nicht davon erwachen.«
Und nun erklang aus den jugendlichen Kehlen das schöne Lied vierstimmig. – – Die junge Lehrerin senkte den Kopf herab, – der Gesang stimmte sie traurig. Ihre Kindheit – ihre erste Jugendzeit stand mit einemmal lebendig vor ihrer Seele. – – Was hatte sie gehofft – – und wie hatten sich ihre Träume erfüllt! – – Durch ihre eigne Schuld! –
Mitten im Gesange wurde plötzlich die Thür
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