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Der Trotzkopf

Der Trotzkopf

Titel: Der Trotzkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmy von Rhoden
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nun begann sie feine Fäden rings um den Baum zu spinnen. 
    »Wie schön! wie schön!« jubelte Ilse und schlug wie ein Kind vor Freude in die Hände. Dann nahm sie Nellie in den Arm und tanzte mit ihr um den Baum. 
    »Du wirst mit deiner lauten Freude die Schlafenden aufwecken,« ermahnte Fräulein Güssow; aber sie sah Ilse mit inniger Teilnahme an. – Es gab eine Zeit, wo auch sie so fröhlich hinausgejubelt hatte in die Welt, – bis der Sturm kam und ihr die Blüte des Frohsinns abstreifte und verwehte. – 
    »Geht nun zu Bett, Kinder,« bat sie, »aber leise, hört ihr? Gute Nacht!« 
    »Gute Nacht, gute Nacht!« rief es zurück und Ilse setzte hinzu: »Ach, Fräulein! Wenn es doch erst morgen wäre!« – 
    Das war ein Leben am andern Tage! Die Mädchen waren ganz außer Rand und Band. Ilse war ausgelassen fröhlich und Nellie stand ihr darin bei. Annemie lachte über jede Kleinigkeit, ja selbst Rosi, die stets Vernünftige, machte heute eine Ausnahme und schloß sich der allgemeinen Stimmung an. Als Flora ein selbstgedichtetes Weihnachtslied zum besten gab, und die ganze übermütige Schar sie dabei auslachte, lachte Rosi mit, – nur als Nellie an zu necken fing, bat sie sanft: 
    »Bitte, Nellie, nicht spotten! Wir haben die arme Flora schon genug gekränkt, als wir sie auslachten.« 
    Melanie und Grete waren die einzigen, die eine leise Verstimmung nicht unterdrücken konnten. Sie hatten gehofft, Weihnachten zu Hause verleben zu können, und waren enttäuscht, als die Eltern ihnen nicht die Erlaubnis gaben, weil sie es nicht passend fanden, daß junge Mädchen allein eine so weite Reise machten. 
    Melanie fand diesen Grund geradezu furchtbar kränkend. »Als ob ich noch ein Kind wäre!« sprach sie ärgerlich zu Orla. »Ich bin siebzehn Jahre alt! Und doch wahrhaftig alt und verständig genug, uns beide zu schützen!« 
    »Aber du bist hübsch,« entgegnete die Angeredete mit leichter Ironie, »und das ist gefährlich. Denk’ einmal, wenn dir unterwegs ein Abenteuer begegnete! Das wäre doch furchtbar schrecklich!« 
    »Ich bitte dich, Orla, verschone mich mit deinen albernen Spöttereien!« wehrte Melanie entrüstet ab. Aber sie fühlte sich doch in ihrem Inneren geschmeichelt, die kleine Eitelkeit. 
    »Du hörst es ja doch gern, Herzchen,« lachte Orla. »Warum auch nicht? Hübsch zu sein ist ja keine Schande, – besonders wenn man so wenig eitel ist wie du! Uebrigens tröste dich mit uns, wir sind ja fast alle zurückgeblieben, bis auf die wenigen Pensionärinnen, die in der Nachbarschaft wohnen, und die vier Engländerinnen, die Miß Lead wieder zurück in ihre Heimat bringt. – Störe nicht unsre fröhliche Laune durch ein verstimmtes Gesicht. Sieh doch nur Lilli an, – kannst du bei dem Anblicke so seliger Freude noch mißmutig sein?« 
    Das Kind lief nämlich von einer zur andern, treppauf, treppab und fragte jede Viertelstunde, ob es noch nicht dunkel würde, und ob das liebe Christkindl noch nit bald käm. – 
    Endlich, endlich brach der Abend herein. Die Vorsteherin und Fräulein Güssow verweilten schon seit zwei Uhr in dem großen Saale, und in einer Klasse, die dicht daneben lag, saßen erwartungsvoll die Pensionärinnen. Natürlich im Dunkeln, denn Licht durfte vor der Bescherung nicht angesteckt werden. 
    Lilli fühlte sich etwas unheimlich in der Finsternis. Sie kletterte auf Ilses Schoß und schlang den Arm um ihren Hals. 
    »Kommt denn das Christkindl noch nit bald?« fragte sie wieder. »Schau, es ist halt schon stockfinster.« 
    »Nun bald,« tröstete Ilse und drückte Lilli zärtlich an sich. Das Anschmiegen des Kindes that ihr so wohl und seine Liebe machte sie so glücklich. »Bald kommt das Christkind, ach, und wie schön wird das sein! – Soll ich dir ein Märchen erzählen, damit dir die Zeit schneller vergeht?« 
    »Bitt schön! Vom Hansel und Gretel!« 
    Ilse hatte indes kaum begonnen »es war einmal«, als Lilli ihr den Mund zuhielt. 
    »Nit weiter!« unterbrach sie, »ich mag das heut nit hören! Ich muß immer an das Christkindl denken. Kennst du das liebe Christkindl, Ilse? Hast du’s schon g’schaut?« 
    »Nein,« sagte Ilse, »gesehen habe ich es noch niemals. Niemand kann es sehen, es wohnt nicht auf der Erde.« 
    »Wohnt es im Himmel?« fragte Lilli. »Schau, da möcht’ ich halt auch wohnen, da ist’s schön, nit? Da singen die lieben Englein, und die lieben Englein, die wohnten früher auf der Erde, das waren die artigen Kinder, nit?

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