Der Trotzkopf
geworden.«
Als das Kind vor seiner Bescherung stand, kehrte seine Lebhaftigkeit zurück.
»Die schöne Puppe!« rief es entzückt und schlug die Händchen zusammen.
»Die ist aber halt zu schön! Meine alte Lori ist lang nit so süß! – Und ein Strohhüterl hat sie auf – ach Gotterl! und die langen Zopferl! Und ein Schultascherl tragt sie am Arm! Bitt schön, Fräulein, darf ich sie in die Hand nehmen? Ich möcht sie ganz nah anschaun! Bitt schön, erlaube mir’s!«
Fräulein Raimar erfüllte gern die Bitte des Kindes, das behutsam sein Püppchen in den Arm nahm.
»Sie kann die Augerl schließen!« fuhr dasselbe fort. »Schau, Fräulein, sie will schlafen!« Das Kind war ganz außer sich vor Entzücken bei dieser Entdeckung und hielt sein Plappermäulchen nicht einen Augenblick still. »Meine Lori hat die Aeugerl immer auf, sie kann nit schlafen, nit wahr, Fräulein? Die ist dumm, lang nit so gescheit wie diese. – Hast du mir die Puppe geschenkt, Fräulein?«
»Nein,« entgegnete diese, die sich an Lillis jubelnder Freude erquickte. »Ilse und Nellie haben sie dir angezogen. Aber sieh einmal, hier hast du noch eine Puppe, die hat dir deine Mama geschenkt.«
Kaum einen Blick hatte sie für die kostbare Balldame. »Die ist mir zu geputzt,« sagte sie, »die kann ich doch nit in das Bett legen! Die kann mein Kind nit sein!« – Und mit der Puppe im Arme lief sie zu Ilse, um sich zu bedanken.
Diese aber war sehr beschäftigt. Sie packte ihre Kiste aus und hatte nicht Zeit, an etwas anderes zu denken. »Später, Liebling,« sagte sie, und fertigte die Kleine mit einem flüchtigen Kuß ab. – Soeben hielt sie einen prächtigen rosa Wollstoff in der Hand und Nellie stand neben ihr und bewunderte denselben lebhaft.
»O wie süß!« rief sie. »Wie von Spinnweb so fein! Und wie er dir kleidet,« fuhr sie fort und hielt den Stoff der Freundin an, »das wird ein schön’ Tanzstundenkleid! Du wirst dir wie eine Fee darin machen!«
Ilse aber war gar nicht recht vergnügt über das kostbare Geschenk, es malte sich sogar etwas wie Enttäuschung in ihren Zügen. Warum mochten die Eltern ihre Bitte nicht berücksichtigt, ja nicht einmal eine Antwort darauf gegeben haben?
Und Nellie war so gut – so neidlos teilte sie ihre Freude.
So mochte auch Fräulein Güssow denken, die näher getreten war. Sie legte den Arm um Nellies Schulter und fragte: »Warum packst du nicht deine eigene Kiste aus?«
»Meine Kiste?« wiederholte Nellie. »O Fräulein, Sie spaßen! Für mir giebt es das nicht!«
Ilse horchte auf. Einen schnellen, fragenden Blick warf sie der jungen Lehrerin zu und diese antwortete mit einem geheimnisvollen Lächeln.
»Wer weiß!« fuhr sie fort, »sieh einmal nach, vielleicht hat eine gütige Fee dir etwas beschert.«
Ilse erhob sich schnell aus ihrer knieenden Stellung und nahm die Freundin unter den Arm. »Komm,« sagte sie, »wir wollen suchen.«
Kiste an Kiste stand da in der Reihe, jede indes war bereits in Besitz genommen, Ilses Auge aber flog voraus. Sie hatte am Ende des Saales eine herrenlose Kiste entdeckt, dorthin zog sie Nellie.
Und richtig, da stand mit großen Buchstaben auf dem Deckel: »An Miß Nellie Grey.« – Es war kein Zweifel, die Adresse lautete an sie.
»O, was ist dies!« rief Nellie überrascht und ihre Wangen röteten sich, »wer hat an mir gedacht? Ist es gewiß für mir?«
»Ja, sie ist wirklich für dich,« versicherte Ilse strahlend, denn nun hatte sie erst die echte Weihnachtsfreude, »nimm nur den Deckel hoch.«
Immer noch etwas zögernd folgte Nellie dieser Aufforderung. Welche Ueberraschung! Da lag obenauf ein gleicher Stoff in blaßblau, wie sie soeben denselben in rosa bei Ilse bewundert.
Und wie sie nun weiter auspackten, jetzt eine jede ihre eigene Kiste, da hielten sie sich jubelnd stets die gleichen Herrlichkeiten entgegen. Bald war es eine gestickte Schürze, dann kamen farbige Strümpfe an die Reihe, Handschuhe, sogar die Korallenkette, die schon lange ein sehnlicher Wunsch Ilses war, fehlte bei Nellies Bescherung nicht. Auch die vielen Leckereien waren gleichmäßig verteilt.
Ilse hatte in einem Karton mit Briefpapier einen langen zärtlichen Brief der Eltern gefunden und als Nellie den ihrigen öffnete, lag auch für sie ein kleines Briefchen darin.
»Meine liebe Nellie,« schrieb Ilses Mama, »ich darf Sie doch so nennen als meiner Ilse liebste Freundin? Mein Mann und ich möchten Ihnen so
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