Der Trotzkopf
Mitschülerinnen, an die sie Grete verraten würde.
Aber es kam anders. Gerade als Grete die paar Stufen zum Korridor hinaus sprang, lief sie beinahe Doktor Althoff in die Arme. Sie hatte ihn nicht gesehen, weil sie den Kopf nach rückwärts gewandt hielt. Das Heft hoch in der Luft schwenkend, hatte sie der armen Flora zugerufen: »Jetzt lese ich deine Geheimnisse!«
Mit einem Blick hatte der Lehrer erkannt, um was es sich handelte; er wäre darüber nicht im Zweifel gewesen, selbst wenn ihn Grete weniger erschrocken angesehen hätte.
»Sie sollten ja dies Heft an Flora abgeben,« sagte er vorwurfsvoll, »wie kommt es, daß Sie es noch mit sich herumtragen?«
Sie antwortete nicht und sah ziemlich betreten und beschämt aus, auch war sie rot bis über die Ohren geworden.
»Ich werde Ihnen nie wieder einen Auftrag geben,« fuhr er fort, »da ich sehe, wie wenig ich mich auf Sie verlassen kann. Geben Sie mir das Heft, ich werde es selbst an Flora abliefern.«
Grete reichte ihm das Verlangte. »Sie ist selbst schuld daran,« stieß sie zu ihrer Entschuldigung hervor und warf den ohnehin großen Mund noch mehr auf; »sie hat ... sie hat mich eingeschlossen! Zur Strafe habe ich ihr das Buch fortgenommen!«
»Zur Strafe!« wiederholte Doktor Althoff mit einem zweifelnden Lächeln, »und was wollten Sie jetzt damit machen?«
»Ach,« verriet sie sich, »hineingesehen hätte ich ganz gewiß nicht! Floras Dichtungen sind viel zu überspannt und langweilig! Ich wollte sie nur necken.«
»Grete, Grete!« drohte der junge Lehrer lächelnd mit dem Finger, »wenn dies Wort eine Brücke wäre, ich ginge nicht hinüber. Seien Sie in Zukunft nicht wieder so indiskret und neugierig, Neugierde ist kein schöner Schmuck für ein junges Mädchen.«
Er wandte sich von der Beschämten ab und ging auf Flora zu, die langsam heran kam. Noch zitterten Thränen in ihren Augen, die sie wie in Verklärung auf ihren Erretter richtete. Wo war der Haß geblieben, der soeben noch in ihrem Innern getobt hatte? Verschwunden und verweht! Die alte Liebe und Begeisterung für Doktor Althoff hatten ihn zurückgedrängt und waren wieder eingezogen in ihr großmütiges Herz. So mächtig wallte die Begeisterung in ihr über, daß sie plötzlich, hingerissen von Dankbarkeit, sich niederbeugte, seine Hand ergriff und einen heißen Kuß darauf drückte.
»Ich danke Ihnen,« hauchte sie leise, dann eilte sie fort, zurück zu ihrer Friedensstätte, ihrem Musentempel, und anstatt den angefangenen Brief zu vollenden, dichtete sie ein Sonett, das die Aufschrift trug: »An ihn.«
Doktor Althoff blickte der Davoneilenden kopfschüttelnd nach. »Ein überspanntes, verdrehtes Wesen!« mußte er unwillkürlich sagen, »und das schlimmste ist, sie wird niemals zu heilen sein.« –
Der Geburtstag des Fräulein Raimar, der in den Mai fiel, war stets ein großartiges Fest. Tagesschülerinnen und Pensionärinnen wetteiferten mit einander, dasselbe durch musikalische und theatralische Aufführungen, durch lebende Bilder u. s. w. so bunt und unterhaltend zu gestalten als möglich. Auch in diesem Jahre wurde keine Ausnahme gemacht, trotzdem Lilli kaum vier Wochen in der Erde ruhte.
»Ich würde gern auf eine größere Feier verzichten,« sprach eines Tages die Vorsteherin zu der englischen Lehrerin und Fräulein Güssow, »aber ich darf es unsrer Zöglinge wegen nicht thun. Mehr oder weniger hat sie Lillis Tod sehr ergriffen und sie hängen die Köpfe; da ist das beste Mittel, sie wieder aufzumuntern, daß wir ihnen eine Zerstreuung schaffen. Mit aller Trauer können wir ja den Tod des lieben Kindes nicht ungeschehen machen.«
Die beiden Damen stimmten ein und beschlossen untereinander, mit den Vorbereitungen zu dem Feste zu beginnen. Miß Lead übernahm es, ein englisches Stück, Fräulein Güssow, ein französisches Lustspiel einzustudieren. Erstere wählte nur Tagesschülerinnen zu ihren Mitwirkenden, während letztere ihre Rollen nur mit Pensionärinnen besetzte. Sie hatte aber erst einen kleinen Kampf mit den Mädchen, bevor dieselben die ihnen zugedachten Rollen annahmen. Flora, die eine alte Dame vorstellen sollte, war durchaus nicht damit einverstanden, sie behauptete, Rosi passe weit besser zu dieser Rolle, diese aber hatte nicht einen Funken schauspielerischen Talentes und würde sich niemals dazu verstanden haben, Theater zu spielen. Sie sprach auch weniger fließend französisch als Flora.
Fräulein Güssow machte nicht
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