Der Tschernobyl Virus
funktionierend aus. Er schaute auf den Stadtwald und und musste an all das denken, was er von Heip über den Klimawandel und das zerstörerische Treiben der Menschheit gehört hatte. Er musste über all die Diskussionen nachdenken, dass der Mensch die Umwelt zerstöre. Das die Natur gerettet werden musste. Wieso die Natur retten? Wen rettete man denn wirklich? Nein, die Natur würde überleben. Wer musste denn gerettet werden? Wir selbst, das war es. Die Natur würde überleben, aber wir Menschen nicht. Also war es nicht die Natur, die man rettete, sondern sich selbst, wenn man etwas für die Umwelt tat. Auf einmal schien ihm die Umweltzerstörung in einem ganz anderen Licht. Es war also in Wirklichkeit eine Selbstzerstörung, Selbstmord. Umweltzerstörung hieß eigentlich nichts anderes also Selbstmord. Koch dachte an Heips Beschreibung von den nicht mehr bewohnbaren Gebieten auf der Erde, von der Eiszeit, von den Kriegen wegen Völkerwanderungen. Er erinnerte sich an einen Zeitungsartikel, den er vor kurzem gelesen hatte, wonach mehr als 200 Millionen Menschen im Laufe der nächsten Jahrzehnte von der Klimakatastrophe direkt betroffen seien, die in andere Gebiete übersiedeln müssten. Er erinnerte sich an die Ausführungen, warum man nicht sofort auf erneuerbare Energien umsteigen solle, an die Möglichkeit der Atomkraft. Doch was Atomkraft anrichten kann, das hatte er ja gerade erst gesehen. Und dann stand dieser Atomstrom ja auch nicht immer zur Verfügung, gerade im Moment fuhren die meisten Kraftwerke mit verringerter Kraft, einige waren ganz abgeschaltet. Und das nur, weil es zu warm war. Und in den nächsten Jahren würde es ja noch häufiger um einiges wärmer werden, als im Moment. Koch bekam Kopfschmerzen, als er so nach und nach die Zusammenhänge verstand. Die Flüsse waren sowieso schon viel zu warm, der Sauerstoffgehalt wurde immer geringer, durch die Kraftwerke, die das Wasser zum Kühlen benutzten, wurde das Wasser noch weiter erhitzt. Schließlich enthält es so wenig Sauerstoff, dass die Fische quasi erstickten. Die Fische wiederum waren nicht nur für uns Menschen lecker, sondern auch Teil einer natürlichen Nahrungskette. Also würden andere Tiere, die die Fische normalerweise aßen, verhungern, und so weiter. Koch wurde es schlecht. Er hatte bisher diese Umweltschützer für Hippies gehalten, für grüne Freaks. Jetzt musste er erkennen, dass sie Recht hatten. Es durfte so nicht weitergehen. Doch wie?
Die Maschine landete auf dem fast ausgestorbenen Rhein-Main Flughafen. Eine kleine Treppe wurde an die Maschine gefahren und er stieg aus. Ein Follow-Me-Wagen wartete mit geöffneter Beifahrertür und brachte ihn zur Tür des Terminals. Mit seiner Sporttasche, die sein einziges Gepäckstück war, ging er durch den fast menschenleeren Ankunftsbereich. Nur ein paar wenige Beamte der Bundespolizei standen vereinzelt in der Halle. Keine Passagiere, die an vollen Gepäckbändern warteten, keine quengelnden Kleinkinder, keine sonnenverbrannten Touristen in hässlichen, karierten Dreiviertelhosen, Nichts. Diese Epidemie hatte das öffentliche Leben lahmgelegt. Er ging durch die nicht besetzte Zollkontrolle und durch die milchige Glastür, hinter der normalerweise die Angehörigen und Freunde der Passagiere freudig warteten. Doch es war leer dort. Nein, zwei Menschen waren dort. Ana und Nina. Das hatte er nicht erwartet. Nina sah ihn zuerst und riss sich von Anas Hand los.
»Papi«, schrie sie, während sie auf ihn zurannte.
Koch ließ seine Tasche fallen und nahm seine Tochter in den Arm. Er warf sie in die Luft und fing sie wieder auf. Die Kleine jauchzte vor Freude. Er drückte sie ganz fest an sich. Er widerstand seinen Tränen nicht. Jetzt wurde ihm klar, wie nah er dem Tod gewesen war, und dass er seine Familie vielleicht nie mehr gesehen hätte. Er öffnete seine Augen und sah Ana direkt vor sich stehen. Auch ihr liefen Tränen übers Gesicht. Jetzt fühlte er wieder, wie sehr er sie liebte. Er nahm seinen linken Arm von Nina und öffnete ihn, so dass er Ana auch an sich schließen konnte. Sie erwiderte seine Umarmung und sie küssten sich lange und innig.
Auf der Heimfahrt herrschte eine seltsame Atomsphäre. Koch war so glücklich, wieder zuhause zu sein. Er war froh, dass seine Familie gesund war, und auch dass die Begrüßung so herzlich und zärtlich gewesen war. Ana schien auch froh zu sein, dass er wieder da war. Gleichzeitig schien es, als ob beide etwas verbargen. Koch wusste, er
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