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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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Mädchen werden würde und dass das Schicksal ihrer Vorfahren auf sie zurückfallen und ihr das Leben schwermachen werde.
    »Aber das ist ja furchtbar!«, rief Rosario entsetzt.
    Daraufhin beruhigte Candela sie und versicherte, die Kleine werde unbeschadet aus der Sache herauskommen. Das Leben werde ihr im Gegenzug schon bald das Glück einer erfüllenden Liebe bescheren, die ihr Herz entflammen werde. Und sie lächelte Rosario aufmunternd an.

15 Guiomar
    Schach ist ein großartiges Spiel. Ganz gleich, wie gut man ist, es gibt immer einen Besseren. Ganz gleich, wie schlecht man ist, es gibt immer einen Schlechteren.
    ISRAEL ALBERT HOROWITZ
    D a das Mädchen bei der Geburt so zart war, befürchteten die Frauen, es werde Sevilla nicht lebend erreichen. Deshalb warteten sie nicht einmal Abels Eintreffen ab, um die Kleine in der Kirche Mayor de Santa María in Carmona zu taufen. Es war eine schlichte, nicht sehr feierliche Zeremonie, bei der lediglich die Dienstmädchen, Candela, Julia, der Priester sowie zwei Messdiener anwesend waren, die sie nicht kannten. Es waren die beiden Jungen, die nachmittags immer in
Las Jácaras
gespielt hatten, bis die Ankunft der Familie sie vertrieb.
    Rosario musste unterdessen das Haus hüten, denn die Tradition schrieb vor, dass Wöchnerinnen nicht an der Taufe teilnehmen durften. Allerdings bestand sie darauf, dass Candela Patin des Kindes wurde. Schließlich hatte diese mit ihrem Zigeunerwissen ihrer Tochter das Leben gerettet. Rosario äußerte zudem den Wunsch, das Kind Guiomar zu nennen, ein Name, der nach eigensinnigen Dichterinnen und literarischen Musen klang und außerdem »starke Kriegerin« bedeutete. Sie fand, dass dieser schmächtige kleine Körper, der bei der Geburt an eine magere Sardine erinnert hatte, alle Stärke benötigte, die man ihm mitgeben konnte – auch die nicht greifbare, die ein Name in sich trug.
    Als das geweihte Wasser über Guiomars Köpfchen rann, ballte die Kleine die Fäuste, schloss die Augen und begann mit rotem, runzligem Gesicht zu weinen. Ventura, der kleinere der beiden Messdiener, beugte sich über sie, um eher neugierig als liebevoll ihre Wange zu streicheln. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, um sie besser aus seinen riesengroßen schwarzen Augen betrachten zu können, und nahm den Geruch des Landes wahr, auf dem sie geboren worden war. Er fühlte sich an den süßen Geschmack der reifen, warmen Früchte erinnert, die er an Sommertagen gegessen hatte, und an die Gräser und Kräuter, die seine Knöchel streiften, wenn er mit seinem Bruder über das Landgut
Las Jácaras
gelaufen war. Er hatte Lust, seine Nase in dem Grübchen am Hals dieses zarten Wesens zu vergraben. Plötzlich packte Guiomar den Finger des Jungen und umklammerte ihn erstaunlich fest, als wäre er die rettende Planke, die sie auf dieser Welt hielt, und als wollte sie nicht, dass er von ihrer Seite wich. Damals konnte niemand ahnen, dass sie sich viele Jahre später mit derselben Inbrunst an Venturas Körper klammern würde.
    Ein Monat verging, und Abel wurde allmählich ungeduldig, weil die Frauen keine Anstalten machten, nach Sevilla zurückzukehren. Sie behaupteten, die Reise sei zu anstrengend für ein so kleines, zartes Kind, und die frische Landluft bekomme ihm viel besser als das Leben in der Stadt. Er war alles andere als begeistert. Dadurch, dass seine Mutter, seine Frau und seine Tochter so weit weg waren, war er gezwungen, zwischen beiden Orten hin und her zu pendeln und zum ersten Mal die volle Verantwortung für die Druckerei zu übernehmen. Gleichzeitig wollte er auch seine Verpflichtungen gegenüber dem Johanniterorden nicht vernachlässigen.
    Außerdem störte es ihn, dass die Frauen ihn nicht in die Namensgebung seiner Tochter mit einbezogen hatten. Er hätte Julia vorgezogen, nach der Großmutter. Und nach Julita. Julia erschien ihm perfekt. Die weiche Aussprache erinnerte ihn an den Klang einer Harfe. So erklärte er es Rosario, und sie gab ihm recht. »Das mit der Harfe ist wirklich schön, Liebling«, sagte sie. Aber sie gab zu bedenken, dass sie nicht viel Zeit gehabt habe, sich einen Namen zu überlegen, und dass er nicht da gewesen sei, um gefragt zu werden. Sein Vorschlag komme schlichtweg zu spät. Abel sprach die Sache nicht wieder an.
    Dennoch war er sich nicht sicher, ob man ihn nach seiner Meinung gefragt hätte, wäre er am Tag der Taufe anwesend gewesen, und wollte auch nicht länger darüber nachdenken. Er kam zu dem Schluss, dass dies

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