Der Turm der Könige
dass sie gar nicht mehr damit gerechnet hatten. Die Nachricht überraschte alle, sogar Rosario. Um jede Aufregung wegen der politischen Lage von der werdenden Mutter fernzuhalten, hielt Abel es für das Beste, wenn sie nach Carmona gingen, um ihre Ruhe zu haben.
»In diesem erfreulichen Zustand ist es das Beste für dich, die Aufregung der Druckerei hinter dir zu lassen und frische Landluft zu atmen«, sagte Abel.
»Mein lieber Junge, ich glaube, du hast falsche Vorstellungen vom Landleben«, bemerkte Julia. »Noch regnet es häufig, die Wege sind morastig, ihr tragt den Dreck mit den Schuhen ins Haus … Und bei schönem Wetter wird es noch schlimmer.« Sie verdrehte die Augen. »Dann kommen die Spinnen, die Kakerlaken und die Stechmücken. Bei schönem Wetter sind die Viecher überall. Irgendwann werdet ihr das hektische Treiben von Sevilla vermissen. Ihr werdet sehen. Mitten im März nach Carmona zu fahren ist eine ausgemachte Dummheit.«
»Und Sie sollten mit uns kommen, Mutter«, warf Abel ein. »Was wollen Sie hier? Sie können Cristóbal das Geschäft überlassen. Ich werde alle vierzehn Tage herfahren, um nach dem Rechten zu sehen.«
»Bitte, kommen Sie mit uns«, bettelte Rosario. »Ich will nicht, dass wir getrennt sind.«
Die Worte ihrer Schwiegertochter und die Angst vor dem leeren Haus, die sie empfand, seit Mamita Lula nicht mehr da war, überzeugten sie schließlich.
Es dauerte über eine Woche, bis sie schließlich abreisen konnten. Die Frauen packten Truhen und Körbe mit Wäsche, Kleidung, Büchern und Nähsachen für die erste Ausstattung des Kindes. Sie mussten drei Wagen mieten, denn auch die Dienstmädchen kamen mit. Über zwei Stunden dauerte es, bis alles in den Kutschen verstaut war. Abel war der Verzweiflung nahe.
»Gütiger Gott, so viel brauchen wir doch nicht. Das Haus ist komplett eingerichtet. Ich habe alles vorbereitet …«
»Wer weiß, wozu man’s brauchen kann«, sagte seine Mutter leichthin. Abel musste sich geschlagen geben.
Sie verließen Sevilla über Cruz de Campo und kamen fünf Stunden später in Carmona an. Als sie schließlich das Anwesen erreichten, erkannte Julia das Haus kaum wieder. Während die Mädchen Fenster und Schränke öffneten, die Bezüge von den Möbeln nahmen, die Betten bezogen und das Abendessen vorbereiteten, zeigte Abel seiner Mutter voller Stolz die Neuerungen.
»Es wirkt ganz anders«, sagte Julia anerkennend.
Durch das Hin und Her des Einzugs bemerkten sie nicht, dass hinter den Büschen auf dem Grundstück zwei Jungen sie beobachteten. Sie hatten ihr Leben lang hier gespielt, waren durchs Dickicht gerannt, hatten im Trog gebadet und kühles Wasser aus dem Brunnen getrunken. Nachmittags hatten sie sich die Bäuche mit Feigen und Orangen vollgeschlagen, die wild dort wuchsen und sich selbst überlassen waren. Sie hatten im Schatten der Bäume gelegen und die Wolken am Himmel beobachtet. Es war ihr Paradies gewesen, aus dem sie nun die Ankunft der Familie vertrieb. Niedergeschlagen sahen die Jungen zu, wie sich ihr Reich mit Gepäck und lärmenden Fremden füllte. Der Kleinere war sehr ernst und blickte nachdenklich aus seinen nachtschwarzen Augen, so schwarz wie sein widerspenstiges Haar.
»Verschwinden wir besser von hier«, sagte sein Bruder resigniert und nahm ihn bei der Hand.
***
DER AUGUST KAM, und die Ferien, die im März begonnen hatten, wurden den Frauen immer noch nicht langweilig. Zu Abels Überraschung veränderte sich mit der Schwangerschaft das unruhige Wesen seiner Gattin, wie es vor Jahren auch bei seiner Mutter der Fall gewesen war. Sie vergaß
Die unbeugsame Rose
völlig und hatte den ganzen Tag ein Lächeln auf den Lippen, während sie mit rosigen Wangen Brot buk. Sie sog mit glücklicher Miene den Duft der Blumen ein und setzte sich abends in den kühlen Garten, bis der Mond hoch oben am Himmel stand.
Sie störte sich nicht an den lästigen Stechmücken, den Kakerlaken, die in den Wasserkrug krabbelten, wenn man die Öffnung nicht mit einem Lappen verschloss, den Eidechsen, die über die Hauswände huschten und durch die Fenster schlüpften, wenn man nicht aufpasste. Es machte ihr nichts aus, dass ihre Hände von den Rosen verkratzt waren und die Sonne ihr Gesicht mit Sommersprossen sprenkelte. Sie genoss das Leben in vollen Zügen, insbesondere, wenn Candela eine Zeitlang zu Besuch war.
Diese war kürzlich aus Madrid zurückgekehrt, wo sie mit ihrer Rolle in Calderóns
Die Waffen der Schönheit
den Gipfel des
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