Der Turm der Könige
in Kraft getreten, weil im Gesetzesentwurf das Wort »Personen« anstelle von »Männern« gestanden hatte. In dem Artikel, für den Rosario verantwortlich zeichnete, wurde betont, dass die Frau ein denkendes Wesen sei und somit in der Lage, mit über ihr Schicksal und die Zukunft der Welt zu bestimmen, die ihre Kinder einmal erben würden.
Die ganze Stadt war in Aufruhr. Die Männer waren empört, weil sie befürchteten, ihre Frauen könnten dem verderbten Beispiel der Irokesinnen folgen und sie aus dem Ehebett verbannen, obwohl die meisten keine Ahnung hatten, wer die Irokesen überhaupt waren und wo dieser Stamm lebte. Der »Alte Weise«, der sich inzwischen mit seiner antiaufklärerischen Haltung landesweiten Ruhm erworben hatte, weigerte sich, noch länger für Doña Julia zu schreiben. Er ging zur Konkurrenz und veröffentlichte einen wutschnaubenden Artikel gegen Doña Julias Druckerei und diese verrückten Weiber, mit denen sie unter einer Decke steckte und die behaupteten, den Männern gleichgestellt zu sein, wo doch jeder wisse, dass die Frau von Natur aus träge sei. Wenn es so weitergehe, werde die Menschheit in ihr Unglück rennen, wie er schon seit dreißig Jahren mahne.
Als Abel von dem Eklat erfuhr, den seine Mutter, Candela und seine Ehefrau verursacht hatten, sprach er deutliche Worte. Dieses verdammte Schmierblatt mache ihn zum Gespött von Sevilla. Alle fragten sich, wer in diesem Haus wirklich die Hosen anhatte, und die Arbeiter in der Druckerei tuschelten hinter seinem Rücken.
»Und dass wir keine Kinder haben, ist doch ein deutlicher Beweis dafür, dass diese Strapazen dir nicht guttun«, warf er seiner Frau vor.
Die drei Frauen saßen eine Weile schweigend da, bis schließlich Candela das Wort ergriff.
»Wenn ich richtig verstanden habe, was er gesagt hat, dann sollen wir die Zeitschrift einstellen. Er glaubt, dass sie für seine Kinderlosigkeit verantwortlich ist.«
»Ja, so habe ich das auch verstanden«, pflichtete Rosario bei, während sie hinter vorgehaltener Hand gähnte.
»Wenn er denkt, dass wir die Zeitschrift einstellen, hat er sich geschnitten«, setzte Julia hinzu.
Dann setzten sie sich in den Patio, um den Inhalt der nächsten Ausgabe der
Unbeugsamen Rose
zu besprechen.
***
IN DEN NÄCHSTEN JAHREN GING eine Erschütterung durch die Welt, die ihren Anfang in Amerika nahm und dann auf Frankreich übergriff. Alles lief auf Revolution hinaus, weil sich das Volk unterdrückt fühlte und sich die aufklärerische Idee von der Gewaltenteilung und der Souveränität des Volkes in den Köpfen der Unzufriedenen festzusetzen begann. Die Bürger gelangten zu der Überzeugung, dass der König nicht von Gottes Gnaden herrschte, wie er selbst behauptete, während seine Untertanen in den Gassen von Paris verhungerten. Unzufriedenheit und Wut machten sich breit und erschütterten den Absolutismus in seinen Grundfesten.
Karren voller Adliger rumpelten unermüdlich zu der neuen französischen Erfindung namens Guillotine, der jüngsten Errungenschaft in Sachen Hinrichtung. Angeblich konnte sie den Hals so rasch durchtrennen, dass der Betroffene zunächst gar nicht merkte, dass er tot war, und er für Bruchteile von Sekunden seinen enthaupteten Körper auf der Holzpritsche liegen sehen konnte, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Man zwang den französischen König Ludwig XVI ., die Verfassung zu unterschreiben, um ihn kurz darauf gemeinsam mit seiner Gemahlin Marie Antoinette zu enthaupten. Niemand war mehr sicher.
Die übrigen Monarchen Europas zitterten bei dem Gedanken, die Revolution könne auf ihre Länder übergreifen. Sie hatten Sorge, ihr bequemes Leben aufgeben zu müssen, das sie seit Jahren durch Tyrannei und blutige Unterdrückung führten. Auch Sevilla war in Aufruhr. Der »Alte Weise« behauptete in seinen Artikeln, das verderbte Gedankengut der Revolution sei nicht nur jenseits der Grenzen zu finden. Vielmehr versuchten die Franzosenfreunde auf subtile Weise, durch Schlagwörter wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit den Aufruhr in politische Kreise, kulturelle Zirkel und vergiftete Literatur zu tragen. Es dauerte nicht lange, und Doña Julias Druckerei, die literarischen Zirkel im Hause des Grafen de Gandul und die Personen, die daran teilnahmen, wurden von den konservativen Kreisen der Stadt als verdächtige Franzosenfreunde gescholten.
Zu Frühlingsbeginn stellte sich heraus, dass Rosario schwanger war. Die Schwangerschaft hatte so lange auf sich warten lassen,
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