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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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Erfolgs erklommen hatte. Wie sie schon vor vielen Jahren vorausgesagt hatte, wetteiferten die elegantesten Damen bei Hofe darum, sie zu imitieren. Sie wollten ebenso dichtes Haar haben wie sie, ihren eindringlichen Blick, ihre wohlgeformten Kurven. Die Männer schickten Liebesbriefe, Blumen und Schmuck in ihre Garderobe. Die Blumen nahm sie immer an und brachte sie später in eine Kirche, aber den Schmuck wies sie stets zurück.
    »Sie sollen nicht denken, dass sie mich im Voraus für etwas bezahlen, was ich ihnen niemals geben werde.«
    In der Vertrautheit auf dem Lande öffnete Candela Julia und Rosario ihr Herz. Sie erzählte ihnen von ihrer unglücklichen Kindheit mit einer kranken Mutter und einem trunksüchtigen Vater, der sie schlug, wenn er sich nicht gerade an ihr verging. Sie gestand ihnen, dass sie mehr als einmal sterben wollte, damit ihr Leid ein Ende hätte, aber etwas in ihr, eine innere Stimme, trieb sie dazu, mit aller Kraft zu kämpfen. Eines Tages, als ihr Vater besonders heftig wütete, lief sie von zu Hause weg. Sie stromerte tagelang durch die Straßen, bis sie irgendwann vor dem Punta del Diamante stand und der Wirt Mitleid mit ihr hatte. Dafür, dass sie saubermachte, sang und tanzte, bot er ihr Essen und ein Dach über dem Kopf.
    »Ich werde nie mit einem Mann zusammen sein. Aus der Ferne können sie mich gerne anhimmeln, aber anfassen wird mich keiner«, stellte sie fest und funkelte sie mit ihren Zigeuneraugen an.
    So erfuhren Julia und Rosario Candelas Geschichte. Sie erkannten, dass sich hinter der Fassade der starken Frau ein verängstigtes Mädchen verbarg, dessen Erzeuger sie eigentlich hätte beschützen sollen. Stattdessen hatte er seine animalischen Instinkte nicht im Griff gehabt. Candela hatte man als kleines Mädchen das Herz gebrochen, und als sie erwachsen wurde, versuchte sie, die Scherben zu kitten. Sie verabscheute die Männer so sehr, dass sie alles daransetzte, jedem den Kopf zu verdrehen, der in ihre Nähe kam. Wenn er dann am Boden lag und schluchzend um ihre Liebe bettelte, zeigte sie ihm ihre Verachtung und ergötzte sich daran, wie sein Herz zerbrach. Sie rächte sich mit den einzigen Waffen, die sie sicher beherrschte.
    »Von allen Frauen, die ich kenne, hat Candela den schlechtesten Ruf, und gleichzeitig ist sie die keuscheste«, sagte Julia an diesem Abend zu Rosario, bevor sie schlafen gingen.
    ***
    DIE GEBURT WURDE FÜR OKTOBER erwartet. Sie wollten Anfang September aus Carmona abreisen, damit Rosario ihr Kind zu Hause in Sevilla zur Welt bringen konnte. Abel fuhr voraus, um alles vorzubereiten, und die Frauen blieben allein zurück.
    An einem drückend heißen Nachmittag spürte Rosario während der Mittagsruhe ein starkes Ziehen im Bauch. Im ersten Moment dachte sie, es käme von der Melone, die sie nach dem Frühstück gegessen hatte. Doch als sie versuchte, sich aufzusetzen, ergoss sich ein Schwall Flüssigkeit zwischen ihren Beinen. Da wusste sie, dass sich das Kind auf den Weg machte. Sie schaffte es noch, die Hände gegen den Bauch zu pressen und sich zum Zimmer ihrer Schwiegermutter zu schleppen, wo sie dieser ins Ohr flüsterte: »Doña Julia, entschuldigen Sie die Störung, aber ich glaube, es ist so weit.«
    »Was?«, entgegnete diese schlaftrunken, bis Rosario einen Schmerzensschrei ausstieß und sich auf den Boden kauerte.
    ***
    ES WAR EIN MÄDCHEN. Winzig klein und bleich kam es auf die Welt, ohne auch nur einmal zu wimmern. Am Anfang dachten alle, es wäre tot, und die Frauen, auch die Dienstmädchen, begannen zu schluchzen. Zum Glück war Candela gerade zu Besuch. Sie legte das Baby aufs Bett und hauchte dem winzigen Mündchen ihren Atem ein, während sie entschlossen seine Ärmchen und den Brustkorb massierte. Plötzlich verschluckte sich das Neugeborene ein-, zweimal und wurde dann von einer Art Husten geschüttelt, aus dem schließlich ein durchdringender Schrei wurde.
    Noch Jahre später sollten die Frauen diesen Tag als den »Tag des Wunders« in Erinnerung behalten. Die Geschichte der Geburt wurde immer weiter ausgeschmückt, bis sie irgendwann selbst nicht mehr wussten, was Erfindung war und was Wirklichkeit. Angeblich hatte man schon sehen können, dass an diesem Tag etwas Außergewöhnliches geschehen würde, denn am Morgen war ein Sommergewitter niedergegangen, und es hatte sintflutartig geregnet.
    Candela machte ihrer Zigeunerherkunft alle Ehre und las dem Kind aus der Hand. Sie prophezeite ihm, dass es ein sanftes, zartes, sehr kluges

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