Der Turm von Zanid
verschrammten Tischplatte zwei kleine rechteckige Papierstreifen. Obwohl Fallon aus der Entfernung nicht lesen konnte, was darauf stand, war er sich aufgrund ihrer Form und Größe sicher, dass es die beiden Teile waren, die er suchte.
»Wo haben Sie die her?« fragte er Wagner.
»Einen von dem Burschen, der ihn bei sich trug, und den anderen aus dieser Schublade«, sagte Wagner. »Hab verdammt lange gebraucht, das Ding zu finden.«
»Damit Klarheit besteht: Sie gehören mir. Ich werde sie jetzt an mich nehmen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Wagner raffte mit der Linken die zwei Streifen vom Tisch und ließ sie blitzschnell in seiner Tasche verschwinden. »In diesem Punkt irren Sie sich, Mister. Die gehören niemandem. Wenn also damit Geld zu holen ist, dann geht es an die Wahre Kirche, der es zusteht, um mitzuhelfen, das Licht zu verbreiten. Ich vermute, Sie haben das fehlende Stück.«
»Geben Sie mir die beiden Teile heraus«, sagte Fallon und machte einen Schritt vorwärts.
»Sie geben Ihren Teil heraus«, sagte Wagner und trat hinter dem Tisch hervor. »Ich möchte Ihnen nicht weh tun, Kumpel, aber der ökumenische Monotheismus braucht die Kohle verdammt nötiger als Sie.«
Fallon machte noch einen Schritt. »Sie haben Qais um die Ecke gebracht, stimmt’s?«
»Es gab nur die Wahl, er oder ich. Und jetzt tu, was ich dir sag. Ich warne dich. Ich konnte mit diesen Zahnstochern ganz gut umgehen, bevor ich die Wahrheit erkannte.«
»Wie bist du auf Qais gekommen?«
»Ich war bei Kastambangs Prozess und habe mir die Zeugenaussagen angehört. Gazi wusste, dass der Scheck in drei Teile zerrissen worden war; nun, da hab ich mir den Rest zusammengereimt.«
»Jetzt hört mit dem Gequatsche auf!« fuhr Gazi dazwischen und stellte ihre Kerze auf den Tisch. »Entweder teilt ihr das Gold, oder ihr fechtet euren Kampf anderswo aus! Die Stadt steht kurz vor dem Fall, und ihr tragt hier in aller Seelenruhe euren Palaver aus!«
»Immer noch ganz mein praktisch denkendes Liebchen«, spottete Fallon, und dann, zu Wagner gewandt: »Du bist mir ein feiner Heiliger! Zwei Männer kaltblütig umbringen und dann samt Beute und Weib abhauen, und alles im Namen deines Gottes …«
»Davon verstehst du nichts«, sagte Wagner sanft. »Ich tue nichts Unmoralisches, so wie du. Die Beziehung zwischen Gazi und mir ist rein platonisch. Wir werden wie Bruder und Schwester sein …«
In diesem Moment sprang Wagner wie eine Katze vor, im Sprung das Rapier gegen Fallon wendend. Dieser konnte den Angriff mit Mühe und Not parieren. Sein Gegenstoß wurde von Wagner fast lässig abgeblockt. Ein wütender Schlagabtausch entbrannte. Die Klingen zuckten und blitzten im trüben Licht. Wisch-Zing-Klang!
Der Raum war zu eng für kunstvolle Beinarbeit, und Fallon war zusätzlich behindert durch die Lampe in seiner linken Hand. Bei jeder seiner Bewegungen schwappte das Öl heraus. Wagners Arm war stark, seine Schwertführung schnell und gewandt.
Fallon hatte gerade den Entschluss gefasst, die Lampe in Wagners fratzenhaft verzerrtes, fanatisches Gesicht zu werfen, als Gazi ihn mit dem Ausruf: »Haltet ein, ihr Schwachköpfe!« von hinten mit beiden Händen beim Rock fasste und an ihm zerrte. Sein rechter Fuß glitt auf den ölbefleckten Papieren aus, und er geriet ins Torkeln. Gleichzeitig sprang Wagner nach vorn, indem er die günstige Gelegenheit blitzschnell beim Schopf ergriff.
Fallon sah die Klinge des Missionars gegen seine Körpermitte schnellen. Er versuchte noch, sein Schwert zur Abwehr hochzureißen, aber die Parade kam zu spät. Er sah, wie die Spitze von Wagners Klinge aus seinem Blickfeld huschte, und dann zuckte ihm ein eisiger Schmerz durch den Körper.
Wagner zog seine Klinge heraus und trat zurück, immer noch in Lauerstellung. Über das Sausen in den Ohren hinweg hörte Fallon das Klirren, als sein eigenes Schwert ihm aus der schlaffen Hand und auf den Boden fiel. Die Knie gaben unter ihm nach, und er sank auf dem Fußboden zusammen.
Verschwommen nahm er wahr, wie seine Lampe zu Boden polterte und erlosch; dann Gazis Ausruf, nicht jedoch dessen Bedeutung; dann, wie Wagner ihn nach dem dritten Teil der Tratte durchsuchte; und schließlich die rasch sich entfernenden Schritte der beiden. Dann wurde alles dunkel und still.
Fallon war sich nicht sicher, ob er das Bewusstsein verloren hatte oder nicht, und wenn, für wie lange. Doch irgendwann, als er sich im Dunkeln am Boden liegend fand, mit blutdurchtränkter Kleidung und
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