Der Turm von Zanid
sich um und stopfte den Teil seiner Habseligkeiten, den er nicht zurücklassen wollte, in einen Leinensack. Ein paar Minuten später trat er hinaus, schloss seine Tür ab – zum letzten Mal, falls seine Pläne klappten –, schnallte den Sack hinter dem Sattel auf dem Rücken des Ayas fest und stieg auf.
Der Türsteher in Tashins Gasthof sagte, ja, Meister Turanj sei auf seinem Zimmer, der Herr möge nur hinaufgehen. Fallon durchquerte den Innenhof, der jetzt seltsamerweise völlig bar seines sonstigen Künstlervolkes dalag, und stapfte die Stiege hinauf zu Qais’ Zimmer.
Er betätigte den Türgong. Niemand antwortete. Er drücke gegen die Tür. Sie war unverschlossen. Als er hineinspähte, flog seine Hand an den Schwertgriff, löste sich nach einem kurzen Augenblick jedoch wieder von ihm.
Qais von Babaal lag, alle viere von sich gestreckt, auf dem Boden. Seine Jacke war blutdurchtränkt. Fallon drehte den Toten um. Der Spion war sauber durchbohrt worden, vermutlich mit einem Rapier. Der Fußboden neben ihm war übersät mit Schriftstücken.
Fallon hockte sich auf die Fersen und ging den Papierkram durch. Als er den Streifen nicht fand, nach dem er suchte, durchsuchte er Qais Leiche und auch den ganzen Raum.
Nirgends eine Spur von der Tratte. Seine erste böse Vorahnung hatte sich also bewahrheitet: Jemand, der von der Transaktion wusste, hatte Qais umgebracht, um an das Stück Papier heranzukommen.
Aber wer? Soweit Fallon sich erinnern konnte, wusste niemand etwas von der Tratte außer Qais, Kastambang und ihm selbst. Der Bankier hatte das Geld in Verwahrung; falls er es unterschlagen wollte, konnte er das auch ohne irgendeine schriftliche Ermächtigung tun.
Fallon durchsuchte den Raum ein zweites Mal, fand jedoch weder das fehlende Stück der Tratte noch irgendwelche Hinweise auf die Identität des Mörders.
Schließlich gab er die Suche auf, stieß einen Seufzer aus und ging hinaus. Er fragte den Türsteher: »War sonst noch jemand in letzter Zeit bei Turanj?«
Der Mann überlegte. »Ja, Herr, wo Ihr mich jetzt daran erinnert, fällt es mir wieder ein. Vor einer Stunde, vielleicht auch etwas mehr, war einer bei ihm zu Besuch.«
»Wer? Wie sah er aus?«
»Es war ein Erdenmensch wie Ihr selbst und ähnlich gekleidet wie Ihr.«
»Aber wie sah er aus? War er groß oder klein? Dick oder dünn?«
Der Türsteher machte eine hilflose Geste. »Das vermag ich nicht zu sagen, Herr. Schließlich sehen die Erdenmenschen doch alle gleich aus, nicht wahr?«
Fallon stieg auf seinen Aya und ritt in flottem Trab quer durch die Stadt Richtung Osten, zu Kastambangs Bank. Wahrscheinlich würde sich auch dieser Ausflug als nutzlos herausstellen, aber er konnte es sich nicht leisten, auch nur die geringste Chance, an sein Geld zu kommen, außer acht zu lassen.
Unterdrückte Erregung erfüllte die Straßen von Zanid. Hier und da sah Fallon einen eiligen Passanten. Ein Mann rief: »Die Jungava sind in Sicht! Zu den Mauern!«
Fallon ritt weiter. Er kam am Gerichtshaus vorbei, dessen Exekutionstafel mehr Köpfe als üblich zierten. Er schaute sich die schauerlichen Trophäen nicht näher an, doch als sein Blick über sie hinwegschweifte, kam es ihm so vor, als käme ihm einer davon bekannt vor.
Als er den Kopf noch einmal wandte, musste er zu seinem Entsetzen feststellen, dass der fragliche Kopf, dessen ehemals feiste Backen im Tod schlaff und runzlig herunterhingen, eben jenem Krishnaner gehörte, den er gerade aufsuchen wollte. Auf der Tafel unter dem Kopf stand:
KASTAMBANG ER’AMIRUT
Bankier aus dem Gabanj
Alter: 103 Jahre und vier Monate
Des Verrates überführt am zehnten Harau
Hingerichtet am zwölften desselben Monats
Mit Verrat konnte nur Kastambangs Bankiertätigkeit für Qais von Babaal gemeint sein. Dass der letztere ein Agent Ghuurs war, hatte Kastambang natürlich gewusst. Und da die Folter überführter Gesetzesbrecher (mit der man sie zur Preisgabe der Namen ihrer Mitwisser und Komplizen zwingen wollte) ein fester Bestandteil des balhibischen Gesetzesvollzugs war, konnte Kastambang in seinen Todesqualen sehr wohl Anthony Fallons Namen erwähnt haben. Jetzt hatte Fallon einen noch viel zwingenderen Grund, aus der. Stadt zu verschwinden, als den, dass die Stadt von den Qaathianern umzingelt und gestürmt wurde.
Fallon trieb seinen Aya zum Galopp an, fest entschlossen, zum Lummish-Tor hinaus zu stürmen und die Stadt auf dem schnellsten Wege hinter sich zu lassen. Doch nachdem er mehrere Blocks
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