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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Sie. Und Sie sollen ja auch ein vorzüglicher Lektor sein, habe ich mir sagen lassen. Man hat Sie also von der Universität relegiert?«
    »Das nicht. Aber ein Wissenschaftler ohne Promotion, an einer Universität –«
    »Ja. Das sind so Schicksale. Aber trösten Sie sich, lieber Rohde. Ich habe nur einige Vorlesungen an der Universität hören können, und Doktor bin ich auch nur ehrenhalber. Ich will hoffen, daß trotzdem etwas aus mir geworden ist, hehe. – Sie waren dann beim Insel Verlag?«
    »Sie sind gut informiert, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
    »Ein Versuch taugt nur soviel wie die Versuchsvorbereitung.« Arbogast krümmte die Lippen. »Womit ich nicht gesagt haben will, daß ich in Ihnen einen Versuch sehe. Übrigens, ich erinnere mich: Vor Insel waren Sie doch beim Wissenschaftsverlag Teubner, der auch meine Tabellenwerke zur Angewandten Elektrophysik betreut. Sie waren etwas aus der Schußlinie, sozusagen, und doch nicht weit von Ihrem angestammten Gebiet.«
    Er wird seine Zuträger haben, dachte Meno. B. G. Teubner, wo ich unterkam, Haube verschaffte mir die Stelle. Lehrgang am Bibliographischen Institut, Abendstudium. Die Bären am Eingang des Zoologischen Instituts … Das Licht und die Räume wandern in die Erinnerung, und sieht man sie wieder, sind sie fremd geworden und haben nichts mehr mit einem zu tun – und doch gehörten sie mir, wie ich ihnen gehörte. Der untersetzte, kahlköpfige Parteisekretär des Instituts, im Konferenzzimmer in der Talstraße; mein Mentor, der bei der Ladung anwesend ist; der Assistentenkollege, der Protokoll führen muß und mit dem ich mir im Wohnheim ein Zimmer teile … Die leer wirkenden Möbel, die Haubes Geschmack von sozialistischer Sachlichkeit entsprechen – er haßte Schnörkel, haßte den Barock, die katholische Kirche, haßte Wien, wo er aufgewachsen war und das wir nicht kannten und von dem er, einen großen Bildband in der Hand, im Ton des Abscheus sprach, auf die Schwarzweißfotos mit dem Zeigefinger hackend, Theresianum, Ringstraße,Kapuzinergruft, Hofburg: Dort sei der Nährboden gewesen für Hitler und seine Bande, er sagte nur: die kackbraunen Verbrecher, meine Damen und Herren Kollegen, anders kann man die nicht nennen, an meine Drastik in dieser Hinsicht werden Sie sich zu gewöhnen haben!
    »Ihre Augen-Sammlung ist beeindruckend, Herr von Arbogast.«
    Schreib es auf, hatte Hanna gesagt, vielleicht kommst du dann davon los. Was man so loskommen nennt. Von jenen sechziger Jahren, in denen wir jung waren in Leipzig und zwei Karten in unseren Brieftaschen trugen: eine mit einer Zahl, das war die Butternummer , die man im Geschäft nennen mußte, um die rationierte Butter zu bekommen – oder nicht zu bekommen, wenn die Ration aufgebraucht war: Herr Rohde, da is nischt mehr übrisch, aber ä Häbbschen Marg-rine könnse noch kriegen!; und die Hausbrand Grundkarte I , die Kohlenkarte, auf die man seine Brennstoffzuteilung erhielt. – Vom Café Corso im Gewandgäßchen, verfallene Tuchherrenpracht, mit seiner bairisch sprechenden Wirtin, dem Kuchenbüfett im Erdgeschoß und den gegenüber verteilten dicken Damen, die Doderers Gefallen gefunden hätten, Tortentanten, wie sie genannt wurden; vom Stimmengesumm oben, im original erhaltenen Art-Déco-Raum: die meeresgrüne Stoffbespannung an den Wänden, hinter der die Geigerzähler tickten und Ohrenquallen lauschten, wie gesagt wurde, wo sommers bei offenen Fenstern die Blasebalgstimme des SED-Bezirkschefs aus den Säulen des Stadtfunks gequetscht wurde; Café Corso: Bloch kam und sprach über Marxismus; Mayer-Schorsch, der Rektor mit den Burschenschaftlerschmissen, die er sich auf dem gleichen Paukboden wie Haube zugezogen haben sollte, bestellte sich ein halbes Dutzend Gläser Hornano -Wermut, prostete dem spitzbärtigen Staatsratsvorsitzenden an der Wand zu, schmiß eine Runde für seine Studenten und stritt mit dem Direktor des Literaturinstituts über Brecht, während wir an den vorderen Tischen uns die Köpfe über Sartre und Anouilh, Beckett, die Gedichte von Jewtuschenko und Okudshawa heißflüsterten; loskommen –
    Arbogast hatte mit einem der Bleistifte gespielt und nachdenklich aus dem Fenster gestarrt, streifte den zusammengesunkensitzenden Meno mit einem Blick. »Nun, lieber Rohde, ich will die Katze gar nicht länger im Sack halten. Ich schreibe an meiner Autobiographie, Ihr Verlag ist an mich herangetreten, man wünscht dieses Buch. Ich brauche ein kritisches Gegenüber,

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