Der Turm
zu sein. Auch dort hatte man die Vorhänge zugezogen, hin und wieder aber öffnete sich eine Tür, und ein Gast torkelte an die frische Luft, um entweder in Richtung der Bushaltestellen am Schillerplatz zu verschwinden oder um hinter das Restaurant zu gehen. Nicht nur dieses Lokal hatte Schwierigkeiten mit der Kanalisation, Meno erinnerte sich an das »bodega« in Leipzig, ein bevorzugter Messetreff, das gar keine Örtlichkeit besaß, man mußte gleichfalls den Hinterhof aufsuchen … Die Elbe hatte jetzt einen bläulichen Farbton, dann schienen Seetiere vorüberzukriechen, milchige, ungestalte Wesen, die das Wasser aussätzig wirken ließen. Der Geruch kam, wälzte sich die Hänge hinauf, Meno kannte ihn mit der Zunge, es war der Geschmack eines zu lange gekauten Streichholzes, dem eine Beimengung wie von Sauerkraut folgte: die Abwässer aus dem Zellstoffwerk Heidenau, die nachts in den Fluß gelassen wurden.
»Rauchen Sie? Es stinkt wieder mal gewaltig.« Judith Schevola klopfte einige Zigaretten aus einer Packung »Duett« und bot sie Meno an, als er nickte. »Eindrucksvoll, wie Sie die Tötungsmethoden dieser tropischen Giftspinnen beschrieben haben. Das muß ich noch mal nachlesen. Ich habe Ihr Buch gekauft, die ›Alten deutschen Dichtungen‹. Der Alte vom Berge hat mich vorhin darauf angesprochen. Er schätzt Sie ziemlich, glaub’ ich. Obwohl er mir gleich darauf erzählt hat, daß Sie ein Projekt von ihm abgelehnt haben.«
»Das war nicht ich, sondern die Hauptverwaltung Verlage. Ich hoffe, das hat er auch erzählt.«
»Verstehe. – Dumm. Jetzt hab’ ich kein Feuer einstecken.« Schevola durchsuchte ihre Taschen, die Zigarette zwischen den Lippen.
»Warten Sie.« Meno riß ein Streichholz an. Sie beugte sich über seine die Flamme schirmende Hand. Er steckte sich auch eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug, blies den Rauch genießerisch aus. »Ach, herrlich. Vielen Dank. Ich habe meine zu Hause liegengelassen.«
»Ich hoffe, es schmeckt Ihnen. Was rauchen Sie sonst, wenn Sie nicht vergeßlich sind?«
»Pfeife. Und für unterwegs Orient.«
»Pfeife hat mein Großvater geraucht … Ich habe diesen Geruch immer geliebt. – Sie haben im Nachwort Ihres Buchs zweimal einen falschen Konjunktiv gebraucht, nach ›als‹ folgt, soviel ich weiß, der Konjunktiv Zwei, bei Ihnen hätte es statt ›als sei‹ also heißen müssen ›als wäre‹, und ›als höbe‹ anstelle des ›als hebe‹.«
»Ach.«
»Ja«, bemerkte Schevola fröhlich, »war mir ein Vergnügen, diese Fehler rauszupicken, nachdem Sie mir derlei Blödsinn angekreidet haben in meinem ersten Manuskript, das ich an die Edition geschickt habe. Solcher Lappalien wegen haben Sie es abgelehnt!«
»Hören Sie, das muß ein Irrtum sein.«
»Es stand aber Ihr Name unter dem Ablehnungsschreiben!«
»Ah, ich verstehe. Das kommt vor. Warten Sie. Wir haben Vordrucke im Verlag, die manchmal für solche Briefe herhalten müssen, wenn normales Schreibpapier knapp wird. Dann passiert es, daß jemand unterschreibt, ohne in der Eile den Namen auf dem Vordruck entsprechend zu korrigieren. Bei Ihnen war es wahrscheinlich Herr Redlich, unser Leitender Lektor.«
»Die Unterschrift war unleserlich, ein ›R‹ war zu erkennen. Ich dachte sofort an Sie! Aber Sie wollen sich doch jetzt nicht etwa drücken? Sie haben vielleicht Angst, ich könnte Sie würgen?« »Dann war Ihre Zigarette ein Versöhnungsangebot?«
Schevola blies eine Rauchlocke aus, starrte in den Garten. »Haben Sie die Hunde gesehen? Er hat einen Zwinger da unten. Komischer Kerl. Manchmal frage ich mich, ob er glaubt, was er sagt. Oder ob er nur hier ist, weil sie ihm ein Institut gegeben haben. – Mögen Sie Stierkampf?«
»Nur bei Hemingway und Picasso.«
»Ist er Ihnen zu brutal? Zu blutig?«
»Zu grausam. Die Menge johlt, weil ein Lebewesen geschlachtet wird.«
»Geschlachtet? Wie pathetisch. Torero und Stier sind ebenbürtige Gegner. Jeder der beiden hat eine Chance, und wer stirbt, tutes beim Kämpfen und vor aller Augen. Weder Torero noch Stier können etwas verstecken, keinen Moment der Tapferkeit, keinen der Feigheit. Das ist ehrlich, und es ist ein guter Tod.«
»Mag sein. Ich finde dieses Ritual trotzdem abstoßend.«
»Sie vertragen den Gedanken an den Tod nicht. Und daß man töten muß, wenn man leben will. Stierkampf macht das zum Thema, und deshalb finde ich das ehrlich. Aber viele sehen dieser Wahrheit nicht ins Auge. Sondern empören sich. Und fragen sich nicht,
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