Der Turm
wissen doch eh Bescheid, glauben Sie nicht? Diese Phrasen … das kotzt mich an! Und Schade möchte uns am liebsten einsperren, wie zu Stalins Zeiten. Oder einfach pfft.« Sie machte die Halsabschneidegeste.
»Seien Sie doch still«, flüsterte Meno, »rauchen Sie wenigstens, aber halten Sie den Mund!«
»Soll ich Ihnen was sagen? Hab’ keine Lust dazu.« Sie lachte das häßliche, sandige Lachen. »Meine Großmutter hat immergesagt: Kind, du bist nirgends so sicher wie unterm Schinken des Leibhaftigen.« Sie winkte ab, rauchte. »Und nachher spielen wir wieder hübsch mit, schweigen und besaufen uns. Klappe, fertig.«
»Es ist nicht einfach für mich«, sagte Meno nach langem Zögern. »Meine Mutter … lassen wir das. Vielleicht später mal, wenn es Sie wirklich interessiert. Schade hat mich eben mit einer verbalen Ohrfeige rausgeschmissen.«
»Sie sind ein komischer Mensch«, sann Schevola. »Man wird nicht schlau aus Ihnen. Trotzdem vertraue ich Ihnen.«
»Wir sollten wieder reingehen«, lenkte Meno ab, »man verschwindet nicht einfach von einem Empfang bei Barsano, als wär’s ein Kindergeburtstag, auf dem man sich gestritten hat.« »Und was kommt nach den Beleidigungen?«
»Umtrunk, Film und Absingen von Revolutionshymnen. ›Wetschernij swon‹ scheint er zu lieben.«
»Und dann Tränen der Rührung?«
»So ungefähr.«
»Dafür bleib’ ich.«
Sie rauchten ihre Zigaretten zu Ende. Entfernt war Hundegebell zu hören, und zum ersten Mal fiel Meno der betäubende, moorige Geruch des Schwarzen Bilsenkrauts auf, das bis an die Schloßmauern wucherte; der Park mußte anziehend für Nachtinsekten sein.
»Na, beruhigt?« fragte Barsano mit gelassen-ironischer Miene, als sie zurückkamen. »Seid mal nicht so empfindlich, bei uns geht’s offen zu, da müßt ihr schon mal ’nen Knuff vertragen.« »Konspiratives Treffen!« Schubert lächelte anzüglich.
»Können jetzt folgendes tun, Genossen«, sagte Barsano, wobei er an der rechten Hand abzählte: »Erstens: gucken uns einen Film an, Tschapajew oder Wesjolyje rebjata«
»Hast du die ganze Serie?« unterbrach Paul Schade.
»– Die ganze. Oder Oktjabr von Sergej Eisenstein. Zweitens: können was essen. Drittens: gehen runter in den Weißen Pavillon und schauen mal, wie weit Genosse Vogelstrom mit dem Revolutionspanorama ist. Viertens: was Besonderes. Zeige euch Dokumente aus der Kampfzeit. Also, wie steht’s? – Gut. Essen ’ne Kleinigkeit und dann Gemeinschaftsempfang von? Oktjabr.Schön. Gute Wahl.« Barsano drückte auf einen Knopf, die Türen eines Schranks öffneten sich, ein Schaltpult mit Hunderten von Knöpfen und Hebeln fuhr heraus. Es klopfte, nachdem er auf einen Knopf gedrückt hatte, ein Mann in Försteruniform trat ein. »Nicht doch«, beschied Barsano den Mann, »will den Genossen Diensthabenden Koch«, drückte auf einen weiteren Knopf, ein graubärtiger Mann in der Schaffneruniform der Deutschen Reichsbahn erschien. »Sie auch nicht, ist es denn nicht möglich –«, er suchte, kratzte sich im Nacken, drückte auf den nächsten Knopf, diesmal schien es der richtige zu sein, der Diensthabende Koch des Küchenkomplexes »Iwan W. Mitschurin« rollte einen Wagen mit Schüsseln und einem Kanister voll Kascha, auf dem Tablett darunter eine Minibar, herein.
»Buchweizengrütze«, ächzte Philipp Londoner Eschschloraque zu, bei dem er sich nach den Fortschritten seines Stücks und der Entwicklung der Nachtwächter-Problematik erkundigt hatte. »Ihr seid viel zu verwöhnt«, murrte Paul Schade. »Wir alten Revolutionäre haben in der Kampfzeit manchmal Ratten gebraten und in Spanien wochenlang von trocken Brot gelebt! Und im KZ wären wir froh gewesen über eine Schüssel mit Buchweizengrütze. Laßt euch das gesagt sein! Ihr wollt die Revolution weitertragen, Junge Garde!« Sein tadelnder Blick umfaßte Philipp Londoner und Judith Schevola, die vor ihm in der Reihe wartete.
»Ein pädagogisch sehr wertvoller Hinweis«, pflichtete ihm der Alte vom Berge bei und schlug sich eine Portion in die Schüssel, die von echtem Appetit oder der Bereitschaft zu Erinnerungen zeugte. Paul Schade wandte sich verachtungsvoll ab, angelte sich eine Flasche Zubrowka. »Du brauchst mir nicht nach dem Munde zu schwatzen, Genosse Altberg. Spare dir deine Kommentare und beehre uns lieber mal auf einer Verbandssitzung mit deiner werten Anwesenheit! – Und Sie, Herr Eschschloraque, mal wieder auf Westreise gewesen?«
» Genosse Eschschloraque … Es ist
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