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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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die Schultern, eine Geste, die zu burschikos und jovial-unehrlich gewirkt hätte, wenn nicht das Zögern vorher gewesen wäre, dasum Einverständnis zu bitten und zu fragen schien, ob er auch recht sei, dieser zurückhaltend geführte Schlag auf die Schulter; nicht jeder empfand das als Auszeichnung, mancher als kumpelhaft-plumpe Vertraulichkeit, mancher vielleicht sogar als Bezeichnung. Barsano begrüßte Meno, steckte die linke Hand in die Tasche seines schlechtgeschnittenen Jacketts – wieviel eleganter waren die Londoners, Eschschloraque und Schiffner gekleidet! –, nahm sie wieder heraus, als würde ihm bewußt, daß das, was man verbirgt, interessant wird, versuchte zu lächeln, unterbrach aber sofort, als die Unterhaltungen der anderen, ohnehin konversationell und abwartend, versickerten. »Wie geht’s Ihrem Vater? Hab’ ihn lange nicht mehr gesehen. Bereitet ’ne Reise vor?«
    »Er hält Diavorträge. Zuletzt im Kulturhaus Magdeburg.«
    »Soso, im Kulturhaus Magdeburg. Braucht er ja nur die Elbe runterzufahren. Trau’ ich ihm zu. Kurt Rohde setzt sich in ein Kanu und schippert nach Magdeburg.«
    Schubert und Josef Redlich lachten zuerst.
    »Bist deiner Mutter wie aus’m Gesicht geschnitten«, sagte Barsano und dämpfte das Lachen durch eine Handbewegung. »Tapfere Luise. Hab’ viele Erinnerungen.« Er wandte sich an Paul Schade. »Weißt du noch, wie sie vor Nadeshda stand und ihr den Brief von Wladimir Iljitsch zeigte?« Schades ledriges Gesicht erhellte sich. »Und die Handgranate, die sie zurück in den Zug geschmissen hat, eine echte Partisanin!« Dabei musterte er Meno mit einem abschätzigen Blick.
    »Gehen wir in den Kinosaal«, entschied Barsano, »halb acht Gemeinschaftsempfang der Aktuellen Kamera, ab acht dann die Referate.«
    Meno und Schevola gingen als letzte. Das Foyer füllte sich danach mit den Mitarbeitern der Behörde. Eine Sekretärin unternahm den Versuch, drei etagenhohen, gelben Gummibäumen mit Wasser und Torf frisches Leben einzuhauchen. Aus den Büros hörte man wieder Stimmen, in den Telefonzellen unter dem Bild des Generalsekretärs der KPdSU schlich nacheinander Licht auf.
    »Wahrscheinlich ›WTsch‹«, meinte Schevola. Schwarze Telefonhörer waren schräg auf die Scheiben der Zellentüren gemalt,darunter leuchtete gelb der ins Milchglas geschliffene Buchstabe F. »Kennen Sie den Mann mit dem Pferdeschwanz? Und können Sie mich mit ihm bekannt machen?« Schevola hatte sich nicht direkt an Meno gewandt, sondern an die Luft zwischen ihm und Philipp Londoner, der vor ihnen ging; sie hatte laut genug gesprochen, daß Philipp seinen Schritt verlangsamte, bis Schevola und er auf gleicher Höhe waren; sie versuchte Räuspern, das Meno unhöflicherweise mit einem »Wie geht’s Marisa? Hast du sie in Leipzig gelassen?« und harmloser Miene durchbohrte, worauf Philipp nuschelte, sie sei noch erschöpft von einer Reise nach Moskau, als Mitglied der chilenischen Delegation zur Ernennung Juri Wladimirowitschs. Der Kinosaal war ein schachtelförmiger, holzverkleideter Raum in der ersten Etage. Nachdem er seine Gäste mit ungeduldigen Bewegungen auf die Plätze gescheucht hatte, drückte Barsano auf einen Knopf; vor die Fenster schoben sich Verdunkelungen, Fernseher glitten aus den Wänden, gleich darauf war die Erkennungsmelodie der »Aktuellen Kamera« zu hören. »Unterkiefer« sprach. So nannte der Volksmund einen Nachrichtensprecher mit schütterem Haar und Kastenbrille, der stocksteif im Bildschirm saß, einer Mumie ähnlich mit einem Blatt Papier zwischen den Fingern, das er vollkommen fehlerfrei und die Silben gleich betonend ablas – es war noch nie vorgekommen, daß Unterkiefer sich versprochen hatte, die ganze Republik schien auf dieses unerhörte Ereignis zu warten –, nur die untere Hälfte des kantigen Gesichts bewegte sich, mahlte Nachricht um Nachricht hervor, im steten, ruhigen Tempo, mit dem ein Kabel von einer Kabeltrommel abgerollt wurde. … zielstrebige Verwirklichung . Vor Meno saßen Schevola und Philipp Londoner, links von Schevola hatte sich in letzter Minute Barsanos Stellvertreter Schubert in die Sitzreihe gezwängt. … umfassender Gedankenaustausch. … in schöpferischer Atmosphäre . Auf den Bildschirmen fuhren Mähdrescher in geordneter Formation über die weiten Getreidefelder der Uckermark. … eindrucksvolles Bekenntnis. … allseitige Stärkung . Barsano wies auf den Fernsehschirm, ein Jubelmeer von Händen, als der Generalsekretär des ZK der

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