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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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wie ein Gummitier dehnte und abriß. Er warf ihn ins Aquarium zurück, wo das Tier lahm und mit halber Schwanzflosse hinter einen Stein schwamm. »Ich brauche was zum Verdauen. Magenbitter ist keiner da?« Albin wühlte auf dem Wagen herum. »Typisch, das vergessen sie immer.«
    »Du Mißgeburt von einem Sohn«, Eschschloraque zündete sich ruhig eine Zigarette an, »wenn du ein Dramatiker werden willst, der mich übertrifft, mußt du dir Besseres einfallen lassen. Wiewohl ich zugebe«
    »– daß ich Fortschritte mache? Liebster Herr Vater, was glaubst du, was es mich gekostet hat, diesen Spezialkleber zu beschaffen. Ich mußte ernste Opfer bringen!« Albin ließ in gespielter Empörung das Monokel aus dem Auge fallen. Judith Schevola beugte sich zu Meno, inzwischen hatten sie sich auf das Sofa zu Maler Vogelstrom gesetzt, ohne daß dieser ein Wort des Grußes gesprochen oder auch nur von seinen Papieren aufgesehen hätte: »Albin hat Ähnlichkeit mit einem kastrierten Seehund, finden Sie nicht? Die Äpfel auf seiner Krawatte sind so … geschmackvoll. Soll ich Ihnen eine Schale Erdnußflips mitbringen?« flüsterte sie.Meno beobachtete sie von der Seite, sie schien entschlossen, die Szene auszukosten. »Woher wissen Sie, wie kastrierte Seehunde aussehen?«
    »Herr Eschschloraque, darf man rauchen? – Ich habe Neigungen, von denen Sie nichts wissen«, bemerkte sie zu Meno und ließ den ersten Zug aus ihren Nasenlöchern qualmen.
    »Sollten wir nicht lieber gehen?« fragte Philipp, sein Gesicht hatte einen abweisenden Ausdruck angenommen.
    »So eilig, liebe Gäste? Fühlt ihr euch nicht gut unterhalten?« Eschschloraque lächelte höhnisch. »Nun, Söhnchen, was hat es dich denn gekostet? Übrigens empfehle ich dir, deine Gestik vor dem Spiegel zu kontrollieren. Ich weiß, daß es ein Klischee ist, daß Tunten tuntige Bewegungen machen, aber du gibst es wie nur je ein schlechter Schauspieler.«
    »Muß ich von dir haben.« Albin schlürfte genießerisch eine Tasse Kaffee. »Schau, immer nur Goethe, Goethe, Goethe … Und dann reicht es nur zu Heiterkeit, zum Biß mit dritten Zähnen. Ein paar nach dem Gral schnappende Scherze, und in Wahrheit war es ein Napfkuchenblech, das vorüberschwebte! Statt Blut nur Himbeersoße … Das ist das Schicksal der Clowns.«
    »Wissen Sie, was er mir übelnimmt?« Eschschloraque stippte Zigarettenasche ins Aquarium. »Daß ich ihn durchschaut habe, durchschaut bis ins Kammerwasser seiner ausdruckslosen Augen. Er ist so verzweifelt, er liebt mich im Grunde, das ist es, aber er würde eher vor Scham in den Boden sinken, als sich eine Sentimentalität zu erlauben …«
    »Du hast mich Albin genannt. Albin! So heißen Enten oder Pinguine, wie soll man mit einem solchen Namen ernst genommen werden!«
    »Ja, eben! Kannst du dir vorstellen, daß ein Dramatiker wirklich gut sein kann, der Albin heißt? Begabte Väter haben so gut wie nie begabte Kinder, heißt es. Heißt das aber auch, daß begabte Väter auf die Wonne! Kinder zu haben, verzichten sollen? Daran dachte ich in dem Moment, als ich dich … nun, sagen wir, auf die Reise schickte. Ich hätte verantwortungsbewußter handeln müssen.« Eschschloraque forschte im Gesicht seines Sohnes, das dieser ins grelle Licht unter dem Bonsai-Regal hielt, nach Wirkung, schlug unschuldig die langen, frauenhaft seidigenWimpern auf. »Es war übrigens ein höchstens mittelmäßiger Genuß.«
    »Auch müd’ gezündete Kanonen treffen«, Albin war kalkblaß, bewegte sich aber sehr ruhig und gemessen, nicht einmal die Flamme des Feuerzeugs zitterte, als er sich einen Zigarillo ansteckte.
    »Schluß jetzt, ihr beiden«, Philipp stand auf, winkte mit seinem Positionspapier. »Wir haben Wichtigeres zu besprechen.«
    »Wenn du meinst«, erwiderte Eschschloraque.
    »Verflucht noch mal, keiner hört mir zu! Ihr pflegt hier eure privaten Streitereien, die ich, unter uns, ziemlich geschmacklos finde, vor allem gegenüber«
    »– euch Gästen?« unterbrach Albin unbeeindruckt, »Na und? Sollen sie doch lernen, wie weit Verehrung gehen kann. Gäste? Mich stören sie nicht«, setzte er mit süffisant gespitztem Mund hinzu.
    »Ich finde es nicht nur geschmacklos, sondern auch unreif, wie ihr euch benehmt. Es muß doch möglich sein, in einer Familie normal miteinander umzugehen, natürlich –«
    »Normal! Natürlich!« Eschschloraque wirkte belustigt. »Unterhalten sich zwei Pathologen über ihre Klientel: War ein Künstler! Ist eines natürlichen Todes

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