Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
Vom Netzwerk:
Leuten vor!«
    »Ist Barsano zuständig?«
    »Judith: Begreifst du nicht, worum es geht?«
    »Judith nennst du sie, aha«, warf Meno überrascht ein. »Du wirst laut«, beeilte er sich hinzuzusetzen, als er die beiden Blicke wechseln sah.
    »Darauf würde Eschschloraque einen geistreichen Spruch parat haben, etwa: Beethoven bleibt Beethoven, egal, wo der Lautstärkeregler steht«, sagte Philipp in ziemlich hochmütigem Ton. Schevola hauchte eine Fensterscheibe an, wischte, versuchte etwas zu erkennen. »Und du meinst, wir sind ihm willkommen? Nicht jeder mag unangekündigten Besuch. Hier in Ostrom schon gar nicht. Vielleicht ist er ein Abendmensch und schreibt gerade an einem seiner Stücke, in denen Nachtwächter verkleidete Staatsratsvorsitzende sind.«
    »Daß ich komme, weiß er, daß ihr kommt, nicht. Überraschungen regen ihn an, sagt er. – Übrigens hast du mir auf meine Frage nicht geantwortet, Schätzchen.«
    Philipp, fand Meno, hatte hin und wieder einen merkwürdigen Sinn für Humor. Judith Schevola schien der Spitzname zu amüsieren, vielleicht hatte sie ihn schon mehrmals gehört. »Setzen wir das doch draußen fort, Genosse Professor. Wir sind gleich da.« Sie hob das Gesicht und mimte abgebrühte Halbweltdame. »Schnuckelchen.«
    Philipp klingelte, als der Kosmonautenweg in Sicht kam. Der Wagen glitt in die Halteinsel, kam schaukelnd zum Stehen; aufder anderen Seite hielt der Gegenwaggon, Meno sah zwei Passagiere darin sitzen; sie nickten ihm zu: Musikkritiker Däne und Rechtsanwalt Joffe, sie schienen in angeregtem Gespräch zu sein. Vielleicht über die Semperoper, deren Wiedereröffnung am dreizehnten Februar bevorstand, vielleicht erkundigte sich Rechtsanwalt Joffe nach einem Opernkomponisten bei Däne, denn er hatte ein Kriminal-Libretto geschrieben, aus dem Erik Orré im vergangenen Winter blutrünstige Moritaten zum besten gegeben hatte. Die Türen schnarrten auf, Philipp reichte Judith Schevola die Hand zum Aussteigen, eine seiner inkonsequent bürgerlichen Galanterien, wie Marisa gesagt hätte; Meno reizte es, sich nach ihr zu erkundigen, unterließ es aber. Der Schaffner ließ den leeren Wagen nach kurzer Wartezeit, in der niemand zustieg, weiterfahren. Der Kritiker und der Rechtsanwalt schwebten eifrig gestikulierend den Berg hinan.
    »Bei der Gelegenheit: Wollen wir uns nicht auch duzen?« Judith Schevola setzte sich auf das Treppengeländer und versuchte zu rutschen, aber Nieselnässe hatte es stumpf gemacht. Philipp Londoner lachte, schlug Meno freundschaftlich-herablassend auf die Schulter: »Wetten, daß er nein sagt, Judith? Bei mir hat er sich geziert wie eine Jungfer, und das, obwohl ich der Bruder seiner ehemaligen Frau bin. Werd’ ich so bald nicht vergessen, was du zu mir gesagt hast: ›Wir haben noch nichts miteinander erlebt, was einen solchen Schritt rechtfertigen würde, wir haben noch nicht gemeinsam gekämpft; wir wissen noch nicht, was wir voneinander zu halten haben.‹ Meno, unser kleiner Militarist. Wie bist du bloß darauf gekommen?«
    »Wenn es dir nicht wieder zum Spott dient: durch Erfahrung. Ich werde nicht gern enttäuscht, das ist alles. Und ich selber möchte andere auch nicht gern enttäuschen.« Er wandte sich an Judith Schevola. Sie sah der Schwebebahn nach, die als strahlig erhellter Bathyscaph im Gewirr der Stahlträger verschwand. »Ich möchte Sie nicht beleidigen, aber ich halte es für besser, wenn eine gewisse Distanz zwischen Autor und Lektor bleibt. Was machen Sie, wenn ich Sie duze und Ihnen gleichzeitig ein Kapitel kurz und klein schlage?«
    »Ich werde ›du Arschloch‹ sagen und es lächelnd ertragen.«
    »Laß es doch auf einen Versuch ankommen, Meno! Lächelnwird sie ganz bestimmt nicht, eitel, wie sie ist.« Philipp hatte heute abend offenbar Vergnügen daran, sie zu reizen.
    »Eitelkeit ist, wenn man zum Spiegelbild sagen kann: Na, auch so schlecht geschlafen? – Also?« wandte sie sich ungeduldig an Meno.
    »Ich möchte beim Sie bleiben. Warten Sie’s ab, Sie werden mir dafür noch dankbar sein. Außerdem möchte ich Sie nie als Jammerfrau erleben. Heulende Genies haben etwas Befremdliches, sie verlieren schlagartig an Stellung, und das Du verleitet zu Einblicken in Zimmer mit herumliegenden Zigarettenkippen und vergammelten Keksen. Nichts für mich.«
    »Na gut, hätten wir das geklärt«, erwiderte Judith Schevola pikiert.
    »So trocken hat dir wohl noch nie ein Mann was abgeschlagen?« Philipp grinste. Plötzlich verfinsterte sich

Weitere Kostenlose Bücher