Der Turm
Linken nach Ausgleich, das Bündel aber gab ihm Unwucht, er wischte eine Weile damit in der Luft herum und tunkte es schließlich in den Sand. Die Standwaage, in die er sich zurückhob, wackelte, Arm und Bein bildeten eine abwärtsweisende Schräge, das Handtuch klappte um, und Sonne beschien Lektors weißbrotbleiche Gemütsruhe. »Kreuzspinne und Kreuzschnabel!« murmelte er Herrn Fuchs’ aus Sandmännchens Abendgruß wohlbekannten Fluch.
TAGEBUCH:
(Dienstag)
Ihr Haar ist inzwischen eher weißblond als grau. Kim Novaks Haar in »Vertigo«. Wasserstoffsuperoxyd. Glaube nicht, daß Judith es benutzt. Sie fragte mich nach Christian – und ob ich meinen »Morgenröte«-Wecker mitgenommen habe. Dann unterhielten wir uns über Pflaumen (der Alte vom Berge hat Zibartenwasser mitgebracht, eine köstliche Spezialität). Ich sagte ihr, daß die Zibarte eine Wildpflaumenart aus spätkeltischer Zeit sei. Sie zuckte die Achseln. Ich: »Ich mag Pflaumen am liebsten jung und fast noch grün; sie haben schon Saft, sind prall, aber ohne Würmer.« Sie: »Aber reif sind sie süßer, schwerer, intensiver. Die jungen Dinger. Holen Sie sich da keine Magenverstimmung?« Ich: »Natürlich nur, wenn man unersättlich ist.« Sie: »Sie sind nicht unersättlich – bei Pflaumen?« Ich: dozierte weiter über die Zibarte,interessanter Abstecher in die Pflanzenkunde. Judith wandte sich gelangweilt (?) ab. Dabei gibt es hier Kirschpflaumen, größer und schöner, als ich sie je am Elbhang gesehen habe! »Kirschpflaume« als Name ist eigentümlich phantasielos; ich hätte Prunus cerasifera »Pfirsche« getauft. Der Alte vom Berge bewegte nachsichtig den Kopf und erklärte, daß man nicht umtaufe, was den zeitentiefen Namen »Myrobalane« trage. – Woher weiß Judith, daß ich einen Wecker besitze?
(Mittwoch)
Ein Wort zum Frühstück, denn vom Frühsport, der hier eher vorgeschlagen (ich will fair sein) als befohlen wird, nur soviel: Da es mir bislang auch hier gelingt, um fünf Uhr morgens zu meinen Laudes aufzustehen und mit meiner kleinen Willensschere ein Stück vom Tagwerk abzutrennen, kann ich die Versammlung Körperertüchtiger auf dem Sportfeld hinter der »Lietzenburg« mit leichteren Augen beobachten. Die Armee-Trainingsanzüge bekommt man geliehen, gegen Quittung natürlich. Der Betreuer für Sport, Spaß und Spiel (so die offizielle Bezeichnung) ist bei späterem Tage der Heimelektriker – Günter Mellis, erzählt man sich, geht ihm, wenn er hier weilt, generös zur Hand –, Hausmeister, Botengänger, im Winter außerdem Heizer. Ich überlegte lange hin und her, wo ich ihn schon einmal gesehen hatte: als ich zum Alten vom Berge unterwegs war und Arbogast traf. Der Mann, der die Studenten aus dem »Haus des Lehrers« führte. Unser Betreuer für S-S-S wollte ihn gar nicht kennen. Er sei schon immer hier auf der Lietzenburg beschäftigt. Und so Frau Kruke, Aufwartefrau, Haushälterin, Aufpasserin, Judiths »Hausdrachen«. Von Else Alke will sie noch nie gehört haben, obgleich sie ihr wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Eine Zwergin in Schlurfpantoffeln. – Zurück zum Frühstück, das sie betreut. Der Autor Lührer steht in der Warteschlange vor Judith, wünscht ihr, als sie ihre Plast-Assiette mit (einheitlich) zwei Scheiben Tilsiter Käse, zwei Scheiben Blutwurst, zwei Lyoner, einem Stück Hotelbutter und zwei Scheiben Schwarzbrot (sonnabends Semmeln aus der Bäckerei Kasten, sonntags ein Stück Kuchen) entgegennimmt, guten Appetit und bittet um Entschuldigung dafür, daß er »neulich« für ihren Ausschluß gestimmt habe, sie müsse verstehen, er habe vier Kinder zu versorgen. – Auch das noch(Judith). Das Frühstück beginnt pünktlich um acht Uhr. Zur Zeit sind zweiunddreißig Gäste im Haus. In der Kantine schweigen acht mit rotweiß gewürfeltem Tischtuch bespannte und mit je einer Vase aus durchsichtig hellgrünem Plast gekennzeichnete Tische. In jeder Vase hockt Wasser bis zur einen Zentimeter unter Rand befindlichen Meßkerbe, punktiert von je einer Kunstblume, Typ rote Margerite, aus den Sebnitzer Werkstätten. Alle Margeritenstengel sind kanülenförmig angeschliffen und leicht gebogen, die Neigung weist, vom Kantineneingang aus gesehen, nach rechts, so daß die Blütenkörbe nach Osten blicken und alle zugleich Punkt acht Uhr (vorausgesetzt, daß es ein freundlicher Tag wird) ein daumennagelgroßes Mützchen Licht aufsetzen. Auf jedem Tisch, in halbsonnenförmigen Aluminium-Serviettenhaltern, begrüßen die
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