Der Turm
die Küstenwacht – er nickte zum Betonturm auf dem Dornbusch – möge sie nicht, die Schwimmer in Richtung offene See. So spielte man eine Weile mit Lührers dunkelblauem »Nivea«-Ball.
Meno schwamm, kraulte mit langen, gleichmäßigen Zügen, legte sich auf den Rücken. Die Sonne hatte die scharfe Klarheit eines Brennglases. Er sah das Kap. Dort war ein Gürtel aus Wellenbrecher-Steinen gezogen, die Gischt toste dagegen an. Zeit, Aberzeit. Ihm fielen die Mandelstam-Verse ein, Anne und er hatten sie auswendig gelernt; er hatte sie in einem Reclam-Band namens »Hufeisenfinder« wiedergesehen, den ihm Madame Eglantine geliehen hatte, das Buch war auf schlechtem Papier gedruckt und mit einer Phalanx von Nachworten gegen die zu erwartenden Einreden bewaffnet. Neunzehnachtunddreißig gestorben im GULag. Jetzt gab es Gorbatschow, und niemand hatte vergessen. Ihr schwebt, ihr schwimmt – wohin? Der Ball klatschte neben ihm aufs Wasser, Schevola rief etwas herüber; Meno boxte ihn zurück in Richtung der Rufe. Fächelte leicht mit den Armen, spürte, daß er in tieferes Wasser geriet, es wurde dunkler, kälter. »Bessoniza. Gomér. Tugije parußa«, murmelte er vor sich hin. Legte sich mit dem Gesicht nach unten, sah noch dieSandstriche, fein geriffelt wie mit Harken oder Bildhauerkämmen gezogen, in verlockender Tiefe schon, er wunderte sich, daß er keine Angst spürte. Sie riefen, er wollte ein wenig weiter. Pulsklopfen plötzlich nun doch, gerade deswegen noch ein Stück. Sog erfaßte ihn, fimbrienartig, schmeichelnd, blaudurchspültes Haar, dann feine zärtliche Finger; für einen Augenlick verlor er die Orientierung, paddelte los und merkte erst an der steigenden Wasserwand, daß es die falsche Richtung gewesen war; tauchte, der Berg dröhnte über ihn hinweg, trug ihn zurück ins Hellgrüne, Antike, jetzt schwamm er panisch, denn vom Strand kehrte es schon wieder um, mischte sich mit Landeinwärtsdünung, Vor und Zurück kämpften gegeneinander, oben packten Wellen ihn am Kragen, stießen ihn zum Strand, unten hatten Strömungsarme, die hinaus wollten, an ihm Gefallen gefunden; er kam nicht voran. Ließ sich in die Senkrechte: kein Grund; täuschend war die Nähe der glatten, in der Sandsauberkeit steckenden Steinbuckel, der Tange und Muscheln.
Draußen hoffte er, daß man ihm nichts ansehe. Winkte Philipp fort, der mißtrauisch geworden war. Fühlte Schevolas Spott im Rücken und war dem Alten vom Berge dankbar, daß er seinen »philosophischen Strandgang« unterbrach (hängende Schultern, braungebrannter, leicht geblähter Bauch, vorstehende Rippen und entig platte Füße mit weit vom Restfuß abgelegenen, den Sand punktenden Zehen) und Bedingungen für ein Volleyballspiel auszuhandeln begann; Schevola, sah Meno über die Schulter, schien darauf einzugehen, wenigstens etwas Takt war ihr also geblieben. Meno schlang ein Handtuch um die Hüften, zog den Bauch ein, stopfte Tuch unter Tuch, prüfte die Festigkeit des Röckchens. Die Badehose hing wie eine durchweichte Windel auf seiner Haut. Er klapperte im kantiger gewordenen Wind, hüpfte, nachdem er Schlüpfer, Hemd und Hose zu einem balancebietenden Bündel geknüllt hatte, auf die Dünen zu. Doch kein Volleyball, sah er aus den Augenwinkeln. Der Alte vom Berge hatte seinen Gedankengang wiederaufgenommen, Schevola, Philipp, Lührer aalten sich auf Strandtüchern neben der Sandburg, blickten nach links, nach rechts, Schevola nach unten; aber jetzt, der Gummiriemen von Menos linkem Badeschuh war schmerzhaft zwischen Groß- und längsten Zeh gerutscht,hob sie den Kopf. Meno hüpfte die Düne hinauf. Die Stelle, wo der Strandhafer besonders hoch und dicht stand, war schon von einem Liebespärchen besetzt. Das Hüpfen strengte an, er versuchte zu laufen, brachte aber unter dem enggeschnürten Handtuch, das er mit einer Hand zusammenhielt, während die andere das Kleiderbündel bugsierte, nur kleine, lächerlich watschelnde Schritte zustande. Inzwischen widmete Schevola sich ihm mit voller, ungenierter Aufmerksamkeit. Das erboste ihn. Er war kein Studienobjekt! Jetzt hüpfte er wieder, und zwar in rücksichtslosen Sprüngen. Zu spät fiel ihm ein, daß er die Sandburg hätte benutzen können. Er ärgerte sich so sehr, daß er auf die Steine nicht achtete, die braun, glatt und halbrund wie Stopfpilze im Sand steckten. Sein Fuß rutschte ab. Meno knickte nach vorn, ruderte mit dem freien Bein, hielt unnachgiebig das Handtuch mit der Rechten fest, angelte mit der
Weitere Kostenlose Bücher