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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Geburtstag.«
    »He, Kleiner!« Damit war Christian gemeint. »Wenn er dir auch mal Blumen schenkt – halt dicht.«
    »Sonst wird aus Alpenveilchen – ’n Lilienkranz, hehe!«
    »Und deine Mutter kriegt ’n Telegramm …«
    »Korrekt!«
    »Aber du kannst ’n schmieren.«
    »Nee, kannste nich. Hab’ ich schon probiert. Dachte mir, auch ’n SVer braucht Winterreifen. ’s war wider seine Ehre … Er wollte nich.«
    »Und?«
    »Nu ja. Alpenveilchen.«
    »Man müßte’n kaltmachen. Bloß ’n bissel.«
    »Und wie? Hier haste bloß ’n Toilettenstrick, und das Plastezeug hält nich. Und stumpfe Messer.«
    »Wenn ich ihn mal draußen treffe.«
    »Da kannste lange warten! Guter Witz! Die sind wie Kakerlaken – lichtscheu!«
    »Schnauze jetzt! Klüsen dicht!«

    Unteroffizier Christian Hoffmann
    8051 Dresden, Heinrichstraße 11

    LADUNG

    In Ihrer Strafsache wegen Straftaten werden Sie auf Anordnung des Gerichts zur Hauptverhandlung auf
    Freitag, den 6. Juni 1986, 8.00 Uhr
    vor dem Militärgericht Dresden geladen.
    Zu der Hauptverhandlung ist geladen
    Rechtsanwalt Dr. Sperber, Dresden und Berlin.
    Vertreter des Kollektivs … Zeugen …

    Askanische Insel . Christian und Pfannkuchen wurden in Handschellen in einen Rotunden-Saal geführt. Entfernt glich er einem Hörsaal, sogar eine Tafel gab es. Christian sah seine Eltern und Meno; seine Eltern waren blaß; er mied ihren Blick. Der Posten schob Pfannkuchen und ihn in die vorderste der Holzbänke, die vor dem mit rotem Tuch bespannten Tisch des Gerichts aufgestellt worden waren. Links und rechts einer kannelierten Säule, von der die Goldbronze abgeblättert war, gab es Fenster, auf den Fensterbrettern standen Topfpflanzen. Hoch an derkannelierten Säule hing das Staatswappen der Deutschen Demokratischen Republik; es war aus Plast gegossen. Rechtsanwalt Sperber lächelte Christians Eltern aufmunternd zu.
    Das Gericht betrat den Saal. Christian und Pfannkuchen bekamen einen Stoß in den Rücken: Auf. Sie erhoben sich, Christian blieb stehen, obwohl sein rechtes Bein unabstellbar und für das Gericht (ein Oberst, ein Beisitzer im Hauptmannsrang, eine Protokollantin) wohl gut sichtbar hin- und herschwankte. Der Oberst begrüßte die Anwesenden mit einem Nicken. Der Kollektivvertreter, es war der schweigsame Goldschmied, der, wie Christian erst jetzt bemerkte, Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei war, verlas eine Beurteilung der Delinquenten. Unteroffizier Hoffmann sei ein verdächtig schweigsamer, dabei, wenn einmal aus der Reserve gelockt, redegewandt argumentierender Armeeangehöriger, der in seiner Freizeit gern lese, einmal Gedichte von Wolf Biermann. Mehrmals habe er das Petschieren der Kassettenfächer an den Radiogeräten als »schwachsinnig« bezeichnet; mehrmals die Stubenexemplare der »Jungen Welt« auf Mißachtung verratende Art und Weise vom Tisch geschoben. Im Dienst sei er bis auf die beiden Besonderen Vorkommnisse bei der letzten militärischen Übung unauffällig gewesen. Der Richter winkte ungeduldig ab: Diese stünden nicht zur Verhandlung, der Genosse Unteroffizier solle bei der Sache bleiben! Schlückchen wurde aufgerufen, zog Inas kubanischen Brief aus der Aktentasche. Hoffmann sei widerspenstig gewesen, man habe des öfteren zu erzieherischen Maßnahmen greifen müssen. Es folgte die Beweisaufnahme. Die Zeugen traten vor: Muska, Wanda, der Lehrgefechtsfahrer, der Christian den Befehl des Kompaniechefs übermittelt hatte. Sie wurden zum Wortlaut der Sätze befragt, die Christian und Pfannkuchen gesagt haben sollten. Jeder erinnerte etwas anderes. Der Richter wurde ungehalten. Er wies an, aus den Vernehmungsprotokollen zu lesen, ließ die Zeugen bestätigen.
    Dann sollten die Angeklagten Stellung nehmen . Erst Christian, dann Pfannkuchen. Christian bat um Entschuldigung, er sei verwirrt gewesen, in einer besonderen Situation. Am liebsten hätte er geschrien, mit einem Maschinengewehr, wenn er eins zur Verfügung gehabt hätte, die ganze Schweinebande (er mußteaufpassen, daß dies Wort ihm nicht aus Versehen über die Lippen schlüpfte) niedergemäht. Aus den Augenwinkeln sah er, daß Sperber unmutig abwinkte. Pfannkuchen sprach mit leiser, gebrochener Stimme und demütig gesenktem Kopf. Auch er habe es, wie sein Vorredner, nicht so gemeint. Er wolle alles wiedergutmachen und bereue seine Verfehlung schwer. Für Pfannkuchen war niemand gekommen, er schien keine Verwandten zu haben, oder es schien sie nicht zu kümmern. Das Gericht ordnete

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