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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Unterbrechung an.
    Sie kamen in Handschellen in einen Raum, in dem zwei Zellen in Form von Gitterkäfigen aufgestellt waren. Jeder bekam einen Käfig, und sie mußten warten. Christians Handschellen saßen zu eng, er wies den Posten darauf hin. Der Posten informierte den Aufsichthabenden Offizier, der die Handschellen weiter stellte. Danach erkundigte er sich, ob es nun korrekt sei. Sperber kam. »Sie hätten fast eine Dummheit gemacht, Herr Hoffmann, indem Sie auf Ihre besondere Situation hinwiesen. Ich dachte, das hätten wir besprochen? Ich habe Ihnen gesagt, daß das mein Part ist. Halten Sie sich zurück! Sie verschlimmern sonst alles.«
    »Herr Rechtsanwalt …«
    »Ich weiß, was Sie wissen wollen. Sind Sie eigentlich immer so ungeduldig? Rauchen Sie erst mal eine, kommen Sie runter.«
    »Werde ich freigesprochen?«
    Der Rechtsanwalt warf einen ungläubigen Blick auf Christian, dann auf Pfannkuchen, der ein Grinsen nicht unterdrücken konnte.
    »Sie haben wohl noch immer nicht ganz begriffen, was Sie getan haben, Herr Hoffmann. Sie haben etwas sehr Schlimmes gesagt! Im übrigen rate ich, nicht in Panik zu verfallen, Panik ist immer unangebracht. Die Dinge stehen, wenn ich meiner Erfahrung trauen darf, nicht ganz schlecht. Jetzt ist Frühstückspause; beim Mittagessen werde ich noch einmal mit dem Militärstaatsanwalt sprechen, wir sind alte Studienkollegen.«
    »Dann werde ich verurteilt? Gefängnis?«
    »Greifen Sie doch den Entscheidungen nicht immer vor! Die Frage ist nicht Strafarrest, sondern das Maß.«
    »Und … mein Studium?«
    »Herr Hoffmann«, Rechtsanwalt Sperber schien jetzt ernstlich ungehalten. »Sie können doch wohl tatsächlich nicht so begriffsstutzig sein.« Er zündete sich, kopfschüttelnd, eine Zigarette an. »Ich möchte Ihnen eins sagen. Das habe ich auch Ihrem Vater schon auseinandergesetzt. Berufungen«, er blies den Zigarettenrauch zum Fenster, es war nicht vergittert, »haben so gut wie nie Erfolg. Damit verschwenden Sie bloß Papier und bereiten sich Unannehmlichkeiten. Akzeptieren Sie das Urteil, wie es kommt. Die Gerichte entscheiden von vornherein nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit. In Ihrem Fall, in Ihrer beider Fall«, Sperber nickte zu Pfannkuchen hin, der sofort aus seiner Apathie erwachte, »ist der Tatbestand der angezogenen Gesetze erfüllt, wobei Sie, Herr Kretzschmar, besonders vorsichtig agieren sollten; Sie wissen, warum.«
    Im Plädoyer bezeichnete Rechtsanwalt Sperber den Geisteszustand der Delinquenten als zum Tatzeitpunkt herabgesetzt. Was geschehen sei, mißbillige er. Es könne aber mindestens bei Herrn Hoffmann nicht von einer dauerhaft feindlich-negativen Einstellung gegenüber »unserem Staat« die Rede sein. Immerhin sei er auf der EOS Agitator im Gruppenrat gewesen und habe mehrfach die Urkunde »Für gutes Lernen in der sozialistischen Schule« erhalten. Er sei gesellschaftlich aktiv, habe, zum Beispiel, mehrere Wandzeitungen auf der POS und EOS als Redakteur betreut. Und er bitte zu beachten, welchen Namen seine Mutter trage.
    Der Staatsanwalt sprach seine Mißbilligung des Verhaltens der Delinquenten aus. Alles sei eine Frage der Einstellung. Hier stehe Undankbarkeit im Vordergrund – immerhin verdanke Hoffmann seinen Studienplatz der Großzügigkeit der Arbeiterund-Bauern-Macht. Er habe das Vertrauen mißbraucht, das ihm entgegengebracht worden sei. Er habe seine Pflicht als Führer eines militärischen Kampfkollektivs grob verletzt. Das in ihn gesetzte Vertrauen enttäuscht! Er beantrage für Hoffmann und Kretzschmar je zwölf Monate Strafarrest. Sperber zog die Stirn kraus, versuchte auf zehn Monate abzumildern.
    Am nächsten Morgen war Urteilsverkündung :

    I mN a m e nd e sVo l k e s

    In der Strafsache gegen
    Unteroffizier Christian Hoffmann,
    geb. am 28. 10. 1965 zu Dresden,
    ledig, nicht vorbestraft,
    zur Zeit in Untersuchungshaft wegen Straftaten nach
    § 220, Abs. 1, Öffentliche Herabwürdigung,
    wurde durch die 1. Strafkammer des Militärgerichts Dresden,
    vertreten durch … aufgrund der mündlichen Verhandlung
    vom 6. 6. 1986

    f ü rR e c h te r k a n n t :

    Der Angeklagte wird wegen Öffentlicher Herabwürdigung der Öffentlichen Ordnung nach § 220, Abs. 1 für schuldig erkannt und verurteilt zu einer Strafe von

    z w ö l fM o n a t e nS t r a f a r r e s t .

    Die Zeitspanne der Untersuchungshaft wird angerechnet. Die Zeitspanne des Strafarrests ist nachzudienen. Der Studienplatz Medizin an der Karl-Marx-Universität

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